Corto Maltese besucht Berlin: Terror und Tarotkarten
Berlin, 1924. Rathenau ist tot, in den Nachtclubs wird die Erinnerung an die Opfer des Ersten Weltkriegs weggekokst und auf den Straßen prügeln sich Kommunisten mit Nazis. Goldene Zeiten, quasi …
Reisebegleiter ist diesmal der Literat Joseph Roth
In seinem 16. Abenteuer „Nacht in Berlin“ ist der von dem italienischen Comickünstler Hugo Pratt erfundene Abenteurer Corto Maltese angekommen in der Weimarer Republik. Deren Ende ist bereits greifbar: „Als erfahrener Seemann sah Corto die gewaltige Welle kommen, die alles unter sich begraben sollte: die freien Wahlen, sexuelle Freizügigkeit, die experimentellen Künste“, schreibt im Vorwort ein imaginierter Joseph Roth, der dem Titelhelden diesmal als Reisebegleiter zur Seite steht.
Als erstes sieht er jedoch ein Foto seines alten Freundes Steiner und zwar an der Pinnwand, an der die Polizei die Fotos der unbekannten Toten aufhängt. Pflichtschuldig meldet Corto seine Entdeckung und stolpert damit hinein in eine Verschwörung der Organisation Consul.
Die 1920 gegründete nationalistische Geheimgesellschaft verfolgte das Ziel, den Friedensvertrag von Versailles zu revidieren und war verantwortlich für zahlreiche politische Morde – unter anderem den an Außenminister Walther Rathenau.
Der zu findende Schatz, der natürlich nicht fehlen darf, und der Corto schließlich nach Prag führt, ist diesmal ein obskures Tarot-Spiel aus dem 15. Jahrhundert, das dem Besitzer, „eine bedeutende Erkenntnis“ zuteil werden lassen soll.
Dass Juan Días Canales und Rubén Pellejero, die Hugo Pratts Saga seit 2016 fortschreiben, ihr Handwerk verstehen, haben sie bereits mehrfach bewiesen. Auch das neue Abenteuer bietet alles, was Fans erwarten: kantige Zeichnungen, verschattete Gesichter, mystischen Realismus, lakonische Aphorismen, die Einbindung zeitgenössischer Kulturgüter, Verfolgungsjagden, Betrug, Doppel- und Dreifachbetrug.
Was es allerdings nicht gibt – und das fällt besonders im Vergleich zum vor ein paar Monaten erschienenen Band „Schwarzer Ozean“ von Bastien Vivès auf, der Corto erstmals in die Jetztzeit transportierte – sind Überraschungen.
Lesenswert ist der Band trotzdem. Und sei es nur als Mahnung angesichts der weltweit grassierenden Demokratiemüdigkeit: „Eine Gesellschaft ohne Erinnerung ist immer eine Zeitbombe!“
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