Kunstausstellung zum Wohnen und zu Hause sein: Verloren in vier Wänden

Im kriegsverwüsteten Gaza-Streifen und im feuerverheerten Los Angeles zeigen die Ruinen der Häuser und die Menschen, die darin nach Resten ihrer Habe suchen, das Elend unbehauster Menschen. Genauso wie die improvisierten Matratzenlager an Berliner Hausecken. Wohnen ist ein Menschenrecht. Ohne Obdach ist der Mensch schutzlos. Mit den vier Wänden verliert er nicht nur seine Bleibe, sondern auch seine Geschichte, seine Erinnerungen.

Das Haus ist die kleinste Einheit menschlicher Ansiedlungen. Statussymbol und Notwendigkeit. Heim und Zuhause. Ein aufgeladener, symbolträchtiger Ort, mit dessen Innenleben sich in der reichhaltigen Themenausstellung „States of Uncertain Domesticities“ im Haus Kunst Mitte 44 Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzen.

Auf mehreren Stockwerken geht es durch Zimmerfluchten, die nicht von ungefähr wie Mietshausräume aussehen. Das ist der Gründerzeitbau, den die Stiftung Asyl der Kunst des Künstlerehepaares Elisabeth und Manfred Bartling hier seit 2022 unter Leitung von Anna Havemann als Kunstort betreibt, auch mal gewesen. Und zwischenzeitlich auch mal ein Flüchtlingsheim für Ostaussiedler.

Die Idee zur Ausstellung zum Thema Haus und Wohnen sei durch das Haus selbst entstanden, erzählt die Künstlerin und Professorin Alba D’Urbano beim Rundgang. Sie hat die Schau gemeinsam mit Tina Mamczur und Ina Bierstedt konzipiert.

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Bärensiegel Goldmarke

Tatsächlich ist das Haus Kunst Mitte das Gegenteil eines „white cubes“. Und so mutet es fast organisch – den Funktionen einer Wohnung entsprechend – an, wenn der Blick in einem der ersten Zimmer auf Retromöbel und die zerwühlten Laken einer Bettstatt fällt. Das Schlafzimmer als intimes Zentrum, als Kapsel der Zeitgeschichte. Die Leipziger Künstlerin Jill Luise Muessig hat in ihrer Installation auch Schubladen und Schrank gefüllt und ein Gläschen Weinbrand der DDR-Marke Bärensiegel Goldkrone auf dem Nachtschrank platziert.

Wenn Frau Möbel werden. Maria Ezcurras Serie „The Perfect Housewife’s Wardrobe: Manditel“, 2007, erschreckt und amüsiert zugleich.

© Maria Ezcurra

Sie betrachte eine Ausstellung wie eine Kirche oder eben wie ein Zuhause, wo viele Ebenen miteinander interagierten, erläutert Alba D’Urbano. Das könnten klassische Ausstellungsräume, wo die Kunst nebeneinander immer auf Augenhöhe hänge, nicht leisten. „Mein Wunsch ist, dass die Kunst wieder nah ans Leben herankommt und das Leben an die Kunst“, sagt D’Urbano.

In der Schau, in der Gemälde und Fotografien zwar durchaus an Wänden hängen, aber Skulpturen auch auf Böden liegen, Videos an den Platz eines Badezimmerspiegels treten und manche Gimmicks auf Kniehöhe angebracht sind, erschließen die Räume sich sinnlicher.

Judy Chicagos „Womanhouse“

An den Beginn hat sie die Video-Performance-Video „Womanhouse“ von 1972 platziert, in der sich Studierende um die Feministinnen Judy Chicago und Miriam Shapiro mit der Rolle der Frau im Haus auseinandersetzen. Eine historische Referenz, die in den Kapiteln Mutterschaft, Pflegearbeit und häusliche Gewalt angesichts zeitgenössischer Arbeiten immer wieder aufblitzt.

Hausarbeit als ewige Sisyphusarbeit, das ist die Metapher, die Kathryn Cornelius in ihrem Video „Resolve“ einfängt. Darin saugt eine elegante Frau im langen Kleid mit dem Staubsauger den Strand. „Verloren im Körnermeer“, wäre ebenfalls ein guter Titel für die lakonisch-absurde Verballhornung des Ideals einer perfekten Raumpflegerin.

Heimtierhälften. Via Lewandowskys Wellensittich-in-Käfig-Installation „Geteilte Freude ist doppelter Spaß“, 2022.

© VG Bild-Kunst Bonn 2025, Foto: Thomas Bruns

Konkret und abstrakt zugleich mutet auch die Installation „Nestbau“ der Bilderhauerin Liz Bachhuber an. Sie ist ein echter Hingucker. Das riesige Nest, das Bachhuber aus Birkenreisern gewunden hat, ist groß genug, um ein Kind aufzunehmen. Wie praktisch, dass darunter auch gleich ein stählerner Laufstall installiert ist. Seltsam nur, dass das Nest, bei dessen Anblick man sich gleich an Gaston Bachelards Klassiker „Poetik des Raumes“ erinnert fühlt, von bunten Kabelbindern zusammengehalten wird.

Das Heim als Ort der Geborgenheit, des Schutzes, der unversehens zum Gefängnis werden kann. Auch für die osteuropäischen Pflegerinnen, die im Video „Caregivers“ von Libia Castro und Ólafur Ólafsson italienischen Familien die Pflegearbeit abnehmen.

Die Fotografin Kerstin Flake war für ihre Serie „Fake Spaces: 03“ (2006) in Leipziger Abrisshäusern unterwegs.

© Kerstin Flake

Solche Botschaften fügen sich nahtlos in die brüchigen Häuslichkeitsszenarien. Aber auch eine späte Wiedergutmachung, wie ein Video der Künstlerin Selma Selman. Sie entwirft in „A Pink Room of Her Own“, inspiriert von Virginia Woolf, ein Zimmer für ihre Mutter, die mit zwölf Jahren zwangsverheiratet wurde und nie ein eigenes besaß. Migration, Armut, Gewalt – auch das hat seinen Platz im Inneren des Hauses wie in „States of Uncertain Domesticities“. Die Schau wandert nach dem Ende der Berliner Laufzeit weiter nach Brünn in Tschechien und dann nach Rom.

Ein Kapitel voller Absurditäten gehört dem Tier im Haus. Auch die animalische Häuslichkeit gehört zu den vor Komik, Tragik, Wahrheit und Politik überbordenden Arbeiten. Via Lewandowsky hat neben der voluminösen Schrankwand seiner verstorbenen Mutter („Die Fürsorgliche“, 2014) auch die Installation „Geteilte Freude ist doppelter Spaß“ von 2022 beigetragen.

Das Zerrbild der Heimtieridylle zeigt einen Wellensittich, der im Vogelkäfig auf seiner Stange hockt. Wobei der Vogel und sein Haus – oops – in zwei Hälften geteilt sind. Dafür sind die „Fensterkatzen“ von Judith Miriam Escherlor aufgepolstert. Die Künstlerin hat Katzen fotografiert, die an Wohnungsfenstern hocken, die Bilder wie Kissen aufgepolstert und sie als Fotowand arrangiert. Ein Memory der Sehnsucht nach dem Draußen, nach dem, was außerhalb des Hauses liegt.