Der Fauvismus, c’est moi: Das Potsdamer Museum Barberini entdeckt Maurice de Vlaminck
Das Fahrrad war Maurice de Vlamincks Verbindung in die Welt. Auch in die Welt des Impressionismus. Aufgewachsen in der Nähe des schon bei den Impressionisten beliebten Ortes Chatou, erkundete er einige Jahre nach Monet, Renoir und Caillebotte das Seinetal – mit dem Rad. Von morgens bis abends will er als Jugendlicher straßauf, straßab durch Städte, Dörfer, das offene Land gefahren sein. „Ich schmeckte den Staub, fühlte den Regen, kämpfte gegen den Wind.“
Der Maler Maurice de Vlaminck (1876-1958) war nicht nur ein Meister der reinen Farben, er war auch ein Meister der Selbstinszenierung. Seine Lieblingsrolle: die des einzelkämpferischen Widersachers. „Rebell der Moderne“ heißt die Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini, die das frühe Werk des Malers jetzt unter die Lupe nimmt. Nach Modigliani und Munch widmet das Haus damit einem vergleichsweise Unbekannten eine große Schau. Die letzte Einzelausstellung zu Maurice de Vlaminck gab es in Deutschland 1929, in Düsseldorf.
Damals war die prägende Zeit Vlamincks schon wieder vorbei. 1929 erschien auch seine erste Autobiografie, eine zweite kam 1943 heraus. Vlaminck wollte offenbar kräftig mitmischen beim Urteil über ihn. Er sah sich und seine Kunst als eine Art Naturgewalt. „Die Malerei als Laufbahn betrachtet – ich hätte sehr gelacht, wenn man mir damit gekommen wäre. Maler sein ist kein Beruf, nicht mehr Beruf, als Anarchist sein, Liebhaber, Rennfahrer, Träumer oder Boxer. Es ist ein Wagnis der Natur, ein Wagnis.“
Anarchist, Rennfahrer, Boxer – tatsächlich waren Vlamincks Interessen und Talente weit gestreut. Geboren wird er zwei Jahre nach der ersten Impressionismus-Ausstellung in Paris in bescheidene Verhältnisse. Der Vater hat einen Laden für Musikinstrumente, die Mutter ist Klavierlehrerin. Vlaminck spielt früh Geige, später wird er zeitweise als Violinist seinen Lebensunterhalt verdienen, auch als Boxer. Bis er 1897 an Typhus erkrankt, lautet das Berufsziel: Radrennfahrer. Er malt auch, nebenbei.
Erst um 1900 wird aus dem Hobby mehr. Schuld ist Anekdoten zufolge ein Eisenbahnunglück: Ein Zug fällt aus, so lernt Vlaminck den Maler André Derain kennen, der wiederum eine lose Verbindung zu Henri Matisse herstellt. Zeitweise teilen sich Derain und Vlaminck ein Atelier an der Seine. Die Bilder, die hier entstehen, zeigen, wie experimentierfreudig sich Vlaminck die impressionistischen Bildmotive anverwandelte. Da wird 1905, zur Zeit seiner ersten Ausstellungen, noch fast pointillistisch getupft und gestrichelt, das Zinnoberrot züngelt sich fauvistisch durch die Motive, der Himmel wölbt sich wie bei van Gogh.
Bis 1908 zeigt sich der ganze Furor des Fauvismus: radikale, unvermischte Farben direkt aus der Tube. Mit seinen Kobalt- und Zinnoberfarben habe er „die École des Beaux-Arts niederbrennen“ wollen, so Vlaminck 1928, „ohne mich darum zu kümmern, wie die Malerei vor mir war“. Und mehr noch: „Was ist der Fauvismus? – Das bin ich. Das ist mein Stil dieser Epoche. Das ist meine Art und Weise zu rebellieren und mich zugleich zu befreien, mich jeder Verschulung und Vereinnahmung zu widersetzen.“ Für die Zeitschrift „Le libertaire“ schrieb er anarchistische Texte.
Um 1908 wird die Brücke von Chatou dann plötzlich flächig wie bei Cézanne. Das Rot wird gedämpfter. Die aufbrausendste Phase der Revolte ist vorbei. Bald wendet sich Vlaminck vom Kubismus vehement ab. Als er künstlerisch am erfolgreichsten ist, beginnt der Erste Weltkrieg. Vlaminck muss nicht an die Front, eine Zäsur ist der Krieg dennoch. Vlamincks Lust am Experiment verebbt. Nach 1918 schreibt er: „Ich glaube an nichts mehr.“
Vlaminck war stolz darauf, Autodidakt zu sein, inszenierte sich als jemanden, der nie in Museen ging, frei von Einflüssen war – lediglich van Gogh ließ er gelten. Die Potsdamer Ausstellung widerspricht da vehement: Sie zeigt, wie in Vlamincks reflektierenden Wasseroberflächen ein Echo auf Monet lebt, in den Stillleben oder Vlamincks „Frau mit Hut“ sehr viel Matisse.
Fast einen ganzen Raum hat das Barberini Zitaten von Vlaminck selbst gewidmet. Das irritiert zunächst. Andererseits ist die Konfrontation mit dem Selbstbild dieses Künstlers eine große Stärke der Schau: Denn sie begnügt sich nicht damit, regt auch zu Widerspruch an.
Eindrücklich ist das im letzten Raum. Hier hängen Spätwerke des Malers. Biografisch klafft zwischen diesem und dem vorhergehenden eine spürbare, ambivalente Lücke: die 1930er und 1940er Jahre. Viele von Vlamincks Werken waren von den Nazis als „entartet“ eingestuft. Aber im November 1941 folgte er, der ehemalige Anarchist, einer offiziellen Einladung nach Deutschland und pries in Artikeln die nationalsozialistische Kulturpolitik.
Wie Vlaminck diese Zeit künstlerisch verdaute, zeigt der letzte Raum. Zu sehen sind spätimpressionistische Schneelandschaften von 1950, eine bedrohliche Häuserwand in Flammen von 1945. Und ein unverblümtes Echo auf Monet: Getreideschober aus den frühen 1950er Jahren. Darüber dunkle Gewitterwolken.