„Petra Kelly – Act Now!“ im Kino: Zarte Felsin in der politischen Brandung

Ein leises Dröhnen. Oder ist es ein Beben? Es kommt näher, wird lauter. Was für Bässe! Dann blendet die Kamera auf und gibt den Blick frei auf marschierende Menschen. Tausende, abertausende Füße klingen so. Das waren die großen Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre gegen die Aufrüstung in Europa. Und hinter ihnen war maßgeblich das Gesicht und die Stimme einer Frau erkennbar: Petra Kelly, Mitgründerin der Grünen.

Es ist seltsam, dass ausgerechnet jetzt ein Film über diese zarte „Felsin“, wie ein politischer Weggefährte sie nannte, ins Kino kommt. Sie scheint so gar nicht in diese Zeit zu passen. Und sie scheint genau in diese Zeit zu passen, beides zugleich. Das Anfangsbild trifft schon die ganze Kelly, ihr politisches Glaubensbekenntnis.

Die Einzelne hat es in der Hand, die vielen Einzelnen, die sich aus überkommenen Strukturen und Herrschaftsansprüchen lösen und ihre Einsichten auf die Straße tragen. Denn diese unüberhörbare materielle Gewalt von Tausenden Füßen klingt nur scheinbar bedrohlich, sie will keine Revolution machen, keine Barrikaden errichten, sondern sie kommt in Frieden, für den Frieden.

Petra Kelly formuliert es in diesem konzentrierten, höchst zeitgemäß-unzeitgemäßen Dokumentarfilm von Doris Metz einmal so: Wenn Ungehorsam zur Philosophie des Lebens werde, könne er viel erreichen. Alle Jahrzehnte, die sie bewusst erlebte, schienen ihr recht zu geben, bis zur deutschen Wiedervereinigung. Da war die Petra-Kelly-Zeit zu Ende, und ihr tragischer Tod machte das nur überdeutlich. Ihr Mitstreiter und Lebensgefährte, der frühere Bundeswehrgeneral Gert Bastian, erschoss erst sie, dann sich.

Und heute: Was würde sie zu einem Deutschland sagen, das wieder kriegstüchtig werden will? Zu einer grünen Außenministerin, die eine Atommacht besiegen möchte? Würde sie ihre Partei wiedererkennen?

Ohne Petra Kelly keine Grünen

Ohne Petra Kelly hätte es die Grünen nicht gegeben, erklärte Otto Schily einmal. Und er war es auch, der den ersten Anstoß zu diesem Film gab: „Sie müssen unbedingt …“ Eine Regieanweisung lieferte er gleich mit: Petra Kelly vor allem selber reden lassen!

Doris Metz hat sich daran gehalten, und egal, worüber diese Frau spricht, wie immer viel zu schnell: Sie hat Charisma. Die Regisseurin kann sich auch nach über dreißig Jahren auf die Ausstrahlung ihrer Heldin verlassen. Und die Jüngeren wundern sich, dass diese Frau schon genauso wie sie gegen die Umweltzerstörung kämpfte – auf internationaler Bühne.  

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„Petra Kelly – Act Now!“ ist alles andere als ein deutscher Grünen-Film geworden, er stellt diese Frau von vornherein in die Perspektive, in die sie gehört: die internationale. Das vor allem macht Metz’ Film so sehenswert. Sie sei „eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“ gewesen, schrieb ihre britische Biografin.

Und zu den schönsten, eindringlichsten Szenen im Film gehören die Aussagen ihres „Seelenbruders“ Milo Yellow Hair vom Stamm der Lakota in den USA. Sein Volk hatte vergeblich versucht, sich gegen den Uranabbau auf seinem Gebiet zu wehren. Das Gesicht des Mannes trägt noch die entstellenden Spuren von zwei Attentaten des FBI.

Wahlkämpferin für Robert F. Kennedy

Auch Milo Yellow Hair hatte, wie so viele Menschen auf der Welt, von dieser deutschen Politikerin gehört – und sie kam. Natürlich kam sie. Petra Kelly besaß kein Talent, Hilferufe zu übergehen. Sprach sie darum so irritierend schnell, einfach um Zeit zu gewinnen?

Petra Kelly in ihrem Bonner Büro.

© Bildersturm Filmproduktion

Doris Metz hat zugleich einen Familienfilm gedreht, und das ist wichtig. Nicht nur, um den wunderbar unideologischen Gestus der Petra Kelly zu verstehen: Sie hat sich ihren Feminismus nicht erkämpft. Sie hat ihn vorgelebt bekommen, wuchs in einem reinen Frauenhaushalt auf und hatte nie das Gefühl, dass jemand fehlte.

Der Vater hatte die Familie früh verlassen. Dass ihre Mutter später doch wieder heiratete, und zwar den US-Offizier John Edward Kelly, darf ebenso als biografischer Glücksfall gelten. So erlebte sie ihre Jugendjahre in Amerika und lernte vor dem deutschen den amerikanischen Politikstil kennen, auch als Wahlkämpferin für Robert F. Kennedy.

Sie war die großen internationalen Podien gewöhnt, der kleine Bundestag konnte sie gewiss nicht aus der Fassung bringen. Doch die Ignoranz der Anzug tragenden Nichtzuhörer erschütterte sie. Und mit Sorge beobachtete sie, wie dieser Politikbetrieb vor allem die Männer ihrer Partei fast ohne Rückstände aufsog.

Die Gegenwart verlangt von den meisten Menschen, viel von dem zu vergessen, was sie einmal für richtig hielten. Etwa, dass Gewalt keine Lösung ist. Es kann nicht ganz falsch sein, vor dem endgültigen Druck auf die Delete-Taste noch diesen Film zu sehen.