Sangeslustig, trinkfest und friedlich: Schottlands Fans auf dem Weg nach Deutschland
Fast ein Jahrzehnt liegt die bisher letzte Invasion der freundlichsten Armee der Welt inzwischen zurück. Aber was Dortmund im September 2014, rund um das EM-Qualifikationsspiel der schottischen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Deutschen, erlebt hat, das könnte nur ein müdes Vorspiel gewesen sein im Vergleich zu dem, was im kommenden Sommer passieren wird – wenn die Tartan Army zur Europameisterschaft in Deutschland einfallen wird.
Es bedarf keiner allzu großen Fantasie, dass sich die Anhänger der schottischen Nationalmannschaft dann wieder in Heerscharen auf den Weg über die Nordsee machen werden, um ihre Mannschaft in Deutschland zu unterstützen. So wie sie es schon 1974 getan haben, als das Team bei der WM in der Bundesrepublik auf denkbar bitterste Weise scheiterte. Damals schieden die Schotten bereits nach der Vorrunde aus, ungeschlagen und mit der nur um ein Tor schlechteren Tordifferenz als Brasilien.
Dass die Schotten auch im nächsten Sommer in Deutschland dabei sein werden, ist für Fußballromantiker jedenfalls eine erfreuliche Nachricht. Es bedeutet: Die EM 2024 kann schon mal kein ganz schlechtes Turnier werden. Denn Schottlands Fans genießen einen legendären Ruf. Und das völlig zu Recht. Die Tartan Army ist sangeslustig und trinkfreudig. Und friedlich noch dazu.
Im September 2014 waren es 5000 Anhänger, die unter der Woche zum Länderspiel gegen Deutschland nach Dortmund gereist waren. Und obwohl ihr Team dem frischen Weltmeister mit 1:2 unterlag, sorgten vor allem die Gäste von der Insel im Westfalenstadion für Stimmung.
„Die Tartan Army ist keine marodierende Soldateska, sondern seit Jahrzehnten schon eine Avantgarde von Fußballpassion ohne Nebenwirkungen“, hat das Magazin „11 Freunde“ einmal geschrieben. „Sie rühmt sich nicht, Städte einzunehmen, sondern deren Kneipen leerzutrinken.“
Lange mussten die Schotten gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit antrinken. Nach der WM 1998 in Frankreich hatten sie 23 Jahre (bis zur Europameisterschaft 2021) auf die Teilnahme an einem großen Turnier warten müssen. Seit Sonntagabend aber steht fest, dass sie zum zweiten Mal nacheinander für eine EM-Endrunde qualifiziert sind.
„And breathe“, riet die Zeitung „The Scotsman“ ihren Lesern daher am Montag: Und atmen! Eine Selbstverständlichkeit ist die Teilnahme an der EM-Endrunde noch lange nicht, auch wenn die Tendenz in den vergangenen Jahren nach oben weist.
Vor drei Jahren gelang den Schotten die Qualifikation erst in den Play-offs, diesmal machten sie schon in der Gruppenphase alles klar – und das sogar zwei Spieltage vor Schluss. „Das zeigt, welche Fortschritte wir gemacht haben“, sagt Nationaltrainer Steve Clarke, dessen Team aktuell auf Platz 31 der Weltrangliste geführt wird.
Sieben Teams (inklusive Gastgeber Deutschland) haben die Teilnahme an der Europameisterschaft im kommenden Sommer (14. Juni bis 14. Juli) schon sicher. Es sind die üblichen Verdächtigen wie Vizeweltmeister Frankreich (sechs Spiele, sechs Siege, nur ein Gegentor), Portugal (sieben Siege aus sieben Spielen, zwei Gegentore), Spanien und Belgien. Dazu die Türkei. Und eben – als bisher größter Exot – Schottland.
„Ich bin nicht sicher, ob meine Spieler schon begreifen, was sie geleistet haben“, sagt Nationaltrainer Clarke, der früher für den FC Chelsea gespielt und seine aktive Karriere 1998 mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger gegen den VfB Stuttgart beendet hat. „Sich nach mehr als 20 Jahren zweimal in Folge für die Euro zu qualifizieren ist phänomenal und ein Beleg für ihre harte Arbeit.“
Durch Spaniens 1:0-Sieg gegen Norwegen am Sonntagabend haben die Schotten in ihrer Qualifikationsgruppe einen der ersten beiden Plätze sicher. Sie selbst hatten spielfrei. Doch dass sie es ohne eigenes Zutun nach Deutschland geschafft hätten, das wäre nicht mal die halbe Wahrheit.
Denn erstmals überhaupt ist Schottland mit fünf Siegen in die Qualifikation für ein großes Turnier gestartet. Das Team gewann nicht nur in Norwegen gegen den ärgsten Konkurrenten um Platz zwei, sondern setzte sich auch im heimischen Hampden Park von Glasgow 2:0 gegen Spanien durch.
Sowohl auswärts als auch zu Hause hätten die Fans „eine Schlüsselrolle für unseren Erfolg gespielt“, sagte Nationaltrainer Clarke. „Jetzt können sie ihre Reisen nach Deutschland planen – obwohl ich glaube, dass viele das längst getan haben.“