Krokodile unter Palmen: Die inszenierten Fotografien von Dean West

Das Eis schmilzt. Wie in Zeitlupe tropft es von der Waffel und verklebt die Hände der beiden Kinder. Doch die haben keinen Blick mehr für die Süßigkeit, obwohl sie ihnen bis eben das Beste am ganzen, sichtlich heißen Tag zu sein schien. Denn das Schlimmste kommt gerade angeritten: ein Sheriff mit so eiskalten, eisblauen Augen, dass die Szene im Film von Dean West schier zu gefrieren scheint.

Die Hand nah am Colt

Den Mann auf dem Pferd sieht man kaum unter der breiten Krempe eines Cowboyhuts. Ab und zu schweift sein Blick umher. Dass er dabei auch die Kinder hinter der Fensterscheibe des Eissalons fixiert, wird von West geschickt assoziiert. Vage, aber schon dank der dramatischen Musik ziemlich naheliegend. Es macht die Gestalt auf dem Pferd noch etwas gefährlicher, weil unklar bleibt, was genau hier passiert. Scheinbar unbeteiligt lässt der Polizist den Sommertag an sich vorbeiziehen. Doch die Schwarzen Kinder hat er im Fokus – und seinen Colt bedrückend nah an der Hand.

Der American Dream bröckelt

Die Ausstellung der Galerie Camera Work, die dem aus Australien stammenden Fotokünstler eine erste Einzelschau in Deutschland ermöglicht, ist eine kleine Sensation. Sie wird es um so mehr, wenn man zuvor die ebenfalls großartige Soloschau von Tyler Mitchell bei C/O Berlin gesehen hat, die unweit von Camera Work stattfindet. Beide Fotografen analysieren den Zustand der USA. Mitchell blickt aus der Perspektive eines nicht einmal 30-Jährigen auf ihren latenten Rassismus und erwähnt, dass es im Leben Schwarzer Jugendlicher einen festen Tag gibt, an denen ihnen die Eltern erklären, sie müssten sich ab jetzt möglichst unauffällig verhalten, um ihr Risiko zu minimieren, von weißen Polizisten drangsaliert und schlimmstenfalls erschossen zu werden.

Dean, Jahrgang 1983 und seit langem in Miami Beach ansässig, streift das Thema ebenfalls, richtet den Fokus dann aber darüber hinaus auf den längst nicht mehr heilen american dream. Doch die Schwarzen Protagonisten seines kurzen und dennoch intensiven Films „Dixie Land“ haben die Message von der Gefährlichkeit der Gesetzesvertreter schon verinnerlicht. Obwohl sie längst nicht in der Pubertät angekommen sind.

Wie man (k)ein Krokodil fängt

Für seine vermeintlichen Hochglanzwelten packt der mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Künstler das große Besteck der Illusion aus. Seine großformatigen Bilder strahlen im Licht der Westküste, die Ingredienzien von Hollywood sind im Übermaß vorhanden: Pools, muskulöse Cowboys, Palmen und satte Krokodile. Doch dann fängt Dean West an zu mischen, und was in seinen Bildern zusammenkommt, passt nicht länger in die Klischees.

Dean West, „Luis (The Wrangler) #1, Boca Raton“.

© Courtesy Dean West_& CAMERA WORK Gallery

Was, wenn der (halbnackte) Cowboy ein Krokodil im Pool fangen will? Lasso schwingend steht er am Wasser, doch die große virile Geste geht ins Leere, weil das Seil dem schwimmenden Koloss nichts anhaben kann. Ein gap, der sich in vielen der gut zwanzig bei Camera Work gehängten Fotos auftut. Bei „Pink Dreams #2Miami Shores“ von 2021 ist es die Frau mit dem Besen, die das prächtige Panorama bewusst stört. West verweist hier auf die Vielzahl meist unterbezahlter Illegaler, die für Kinder und Haushalt der Reichen sorgen: Amerikas berüchtigtes Nannygate.

West misstraut der Schönheit

Die Kritik tropft leise in die atmospährischen Welten. Man spürt, dass Dean West, der am Queensland College of Art studierte, von der puren Ästhetik solcher Inszenierungen fasziniert ist. Er baut sie nach, nutzt sie als Bühne. Trauen kann er ihnen nicht.

West kennt die Impressionen eines David Hockney, und ebenso zitiert er Gemälde von Edward Hopper, bei dem sich schon in die 1920er-Jahre melancholische Töne in die New Yorker Großstadtszenen schlichen. Beider Traditionen führt er in seinen aufwändigen Fotografien fort, kommentiert den Bruch zwischen den kalifornischen Sehnsüchten und der Realität dann aber ebenso klug wie optisch ins Gesamtbild passend.

Doch selbst kleinste Interventionen des konzeptionell arbeitenden Künstlers wirken nach. So wie in dem Bild „Suburbia #2“: Eine Frau im grünen Kleid steht auf dem Rasen ihres Hauses. Dann entdeckt man die aufgeplatzte Einkaufstüte, die sie hat fallen lassen. Auf einmal wirkt sie unendlich verloren.