Ohne Demut zum Debüt
Para-Badmintonspieler Jan-Niklas Pott ging noch in das paralympische Dorf, um den Souvenirshop „auszurauben“. Bundestrainer Christopher Skrzeba schaute sich die letzten Spiele in der Badmintonhalle an, um die Atmosphäre „noch mal mitzunehmen“, bevor der Flieger Richtung Deutschland ging und die Paralympics der Vergangenheit angehörten.
Dass das deutsche Badminton-Team in Tokio Zeit für Freizeitaktivitäten hat, war eigentlich nicht geplant. Doch durch das frühe Ausscheiden des kompletten Teams fanden die Endrunden im Para-Badminton ohne deutsche Beteiligung statt – und die Spielerinnen und Spieler mussten sich für die letzten Stunden in Tokio eine andere Beschäftigung suchen.
Dabei hätten die Paralympics gar nicht besser starten können: Das erste Spiel auf paralympischer Bühne war ein deutsches Duell. Valeska Knoblauch traf auf ihre Doppel-Partnerin Elke Rongen und wurde ihrer Favoritenrolle gerecht. Die Stimmung im Team war super und die Vorfreude auf die anderen Duelle riesig. Doch dann ging es schlagartig bergab. Am zweiten Wettkampftag verloren die Deutschen neun Spiele, lediglich Katrin Seibert gewann ihr Einzel gegen die Inderin Parul Parmar. Die Vorrunde überstand lediglich Valeska Knoblauch, die ihr anschließendes Viertelfinale dann aber gegen die Chinesin Jing Zhang verlor. Insgesamt konnten die deutschen Spielerinnen und Spieler bei den Paralympics nur drei Spiele gewinnen – deutlich zu wenig für das ambitionierte deutsche Para-Badminton-Team.
Das bevorstehende Debüt weckte das Interesse
Bundestrainer Christopher Skrzeba spricht auch nach einigen Tagen Abstand von einer „ernüchternden“ Gesamtbilanz. Er sucht nach Gründen für das frühzeitige Scheitern der deutschen Spielerinnen und Spieler und muss dabei feststellen, dass diese ziemlich vielfältig sind.
Rückblick, einige Wochen zuvor in Deutschland: Die sechs deutschen Spielerinnen und Spieler bereiten sich am Stützpunkt in Hannover auf das bisherige Highlight ihrer Karriere vor. Bei der Premiere ihrer Sportart bei den Paralympics wollen sie nach Medaillen greifen. „Wir haben viel zusammen trainiert und große Fortschritte gemacht“, erzählt Jan-Niklas Pott über diese intensive und anstrengende Zeit.
Neben Kraft- und Schlagtraining stehen kurz vor der Abreise nach Tokio auch Interviews auf dem Tagesplan. Für eine Randsportart wie Para-Badminton ungewöhnlich, doch das bevorstehende Debüt weckte das Interesse. Vor allem die Nummer drei der Welt, Valeska Knoblauch und der als „Opa“ bezeichnete älteste deutsche Spieler Thomas Wandschneider waren die Lieblinge der Zeitungen und Fernsehsender. Gern genommene Aufmerksamkeit für den Para-Sport, wenn auch ungewohnt. „Dieses vor der Kamera stehen ist eigentlich gar nicht mein Ding, aber ich mache das auch, damit wir mehr Plattform bekommen“, erzählte Valeska Knoblauch in der Sportschau-Doku „Mein Weg“.
Ein Riesenevent, überall Interviews, viel Drumherum
Hartnäckige Journalistinnen und Journalisten schafften es auch, die ein oder andere Kampfansage aus den deutschen Spielerinnen und Spielern herauszukitzeln. „Ich will im Mixed bis ins Halbfinale kommen, danach ist alles möglich“, sagte Pott dem Sportbuzzer, und Wandschneider erzählte dem gleichen Portal, dass er davon ausgehe, „eine große Chance zu haben“. Valeska Knoblauch sprach sogar von „mindestens Silber“, das sie gerne gewinnen würde.
Aussagen, die sich Bundestrainer Christopher Skrzeba etwas „demütiger“ gewünscht hätte. „Ich glaube man hat im Vorhinein zu viele Hoffnungen über die Medien nach außen getragen, was noch mal zusätzlichen Druck gemacht hat“, sagt er.
In Tokio angekommen, hat das deutsche Badminton-Team dann hautnah miterlebt, was es heißt, an den Paralympics teilzunehmen und der Medienrummel wurde noch größer. „Es war ein Riesenevent, überall Interviews, viel Drumherum“, erzählt Skrzeba über die ersten Eindrücke vor Ort. Ein überwältigendes Gefühl auf der einen, ein Störfaktor für die letzten Vorbereitungstage auf der anderen Seite. „Wir waren vielleicht etwas überrascht von den Eindrücken und was das mit einem macht, und dann haben wir vielleicht hier und da den Fokus nicht optimal setzen können“, sagte Jan-Niklas Pott über die Situation im paralympischen Dorf.
Die Spieler hatten mit Wind in der Halle zu kämpfen
Aber nicht nur der Medienrummel versetzte das Team unter Stress. Auch der straffe Zeitplan stellte die Spielerinnen und Spieler vor eine große Herausforderung. Die Badminton-Wettbewerbe waren eng getaktet über fünf Tage verteilt und so kam es vor, dass einige Spielerinnen und Spieler in der Gruppenphase zwei bis drei Partien innerhalb von 24 Stunden bestreiten mussten.
Jan-Niklas Pott spricht sogar von „Wettbewerbsverzerrung“, wenn er die Ansetzungen der Spiele verschiedener Nationen vergleicht. „An dem Tag, als wir unser Mixed gegen die Japaner gespielt haben, hatte ich zwei Stunden vorher ein Einzel. Die beiden Japaner hatten ihre Spiele an anderen Tagen und somit vorher einen ganzen Tag frei.“ Die Partie gewann das Mixed-Doppel aus Japan, obwohl die Deutschen vor allem im ersten Satz überzeugt hatten.
Im Spiel gegen die Japaner hatten die Deutschen auch noch mit etwas anderem zu kämpfen: dem Wind in der Halle. In asiatischen Sporthallen sind Klimaanlagen verbaut, welche die Flugbahn der Federbälle beeinflussten. Besonders die europäischen Spielerinnen und Spieler sind das nicht gewöhnt und hatten daher zum Teil große Probleme. Laut Pott habe es Unterschiede zwischen den beiden Netzseiten gegeben: Auf der einen waren die Bälle besonders schnell, auf der anderen Seite hingegen langsamer. „Im Spiel gegen die Japaner ist uns die Umstellung von der schnellen auf die langsame Seite nicht so gut gelungen. Es hatte schon einen großen Einfluss auf unsere Leistung“, resümiert er das Spiel gegen Japan.
Nachwuchsspieler stehen bereit
Zumindest das Wind-Problem dürfte bei den Paralympics in Paris 2024 kein Faktor mehr sein. Trotzdem möchte Christopher Skrzeba die Hoffnungen auf Medaillen auch dort nicht zu hoch hängen. „Wir sind ein ziemlich altes Team. Wir müssen mal schauen, wer noch weitermachen kann und möchte“, erzählt er über die Altersstruktur der Nationalmannschaft. Drei der sechs Spielerinnen und Spieler, die in Tokio dabei waren, sind über 50 Jahre alt und einige von ihnen werden in Paris eventuell nicht mehr dabei sein. „Es ist ein enormer Zeitaufwand, der Köper wird älter und gebrechlicher“, sagt Skrzeba.
Paralympischer Badminton-Nachwuchs steht aber schon in den Startlöchern. Spielerinnen und Spieler wie der erst 22-jährige Nils Böning oder die 23-jährige Annika Schröder sind die Zukunft des deutschen Para-Badmintons – und vielleicht holen sie ja in Paris die ersehnten Medaillen für Deutschland.
Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.