Die Pläne der Neuen Nationalgalerie: Götterfunken aus den Klaviertasten schlagen
Lange war es ruhig um die Neue Nationalgalerie gewesen, von temporären Interventionen abgesehen. Es gab die Spendenaktion für die Ukraine, die Reihe „Sound in the Garden“ oder eine Performance während der Berlin Art Week. Auffällig war daran, wie jedes Mal ausdrücklich betont wurde, dass es sich um eine Initiative von Klaus Biesenbach handeln würde. Das wirkte wie Eigenwerbung für den Direktor eines Staatlichen Museums.
„Stop, Repair, Prepare: Variations on ,Ode to Joy’ for a Prepared Piano“ heißt der neueste Act, den Biesenbach nun präsentiert: eine Performance des Künstlerduos Allora & Calzadilla aus Puerto Rico (bis 30. 10., achtmal tägl. jew. 30 Minuten). In der gläsernen Halle des Mies van der Rohe-Baus ist ein zierlicher Pianist durch ein Loch im schwarzen Korpus seines Flügels geschlüpft.
Jetzt zieht er das Instrument auf Rollen über den Boden, ein Sisyphos im Klavier. Er beugt sich über die Tasten und spielt kopfüber und rückwärts den vierten Satz von Beethovens 9. Symphonie – die Ode an die Freude. Die Musik ist Lust und Last zugleich.
Beethovens Neunte entstand aus dem türkischen Tanz und wurde von Diktatoren und Revolutionärinnen gleichermaßen geliebt. Eine Komposition mit Narben. Aber als in der Neuen Nationalgalerie die ersten Besucher die Bearbeitung von Allora & Calzadilla sehen, bleiben Kinder wie Erwachsene mit offenem Mund stehen.
Die Performance könnte auch ein Dankeschön sein
Biesenbach hat die Performance 2009 mit Hilfe der Sammlerin Julia Stoschek für das New Yorker MoMA erworben. Die jetzige Aufführung dürfte ein kleines Dankeschön sein: von Biesenbach an Stoschek, die der Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Tipp gab, bei Biesenbach für den Posten des Nationalgalerie-Direktors nachzufragen. Oder auch umgekehrt, denn Julia Stoschek sitzt im Kuratorium der Freunde der Nationalgalerie, sie besitzt ein Video der Performance.
Mit der ersten Berliner Aufführung der „Ode to Joy“ stellte Biesenbach nun sein etwas luftig gestricktes Programm für die nächsten zwei Jahre vor. Im Untergeschoss wird die aktuelle Sammlungspräsentation von einem zweiten Kapitel unter dem Titel „Zerreißprobe“ abgelöst. Mehr als dreißig Jahre nach der Wende verspricht der neue Blick auf die deutsch-deutsche Kunst der Nachkriegszeit spannend zu werden. Insgesamt sollen die Ausstellungen weiblicher werden.
Im November stellt sich Monica Bonvicini mit dem Schlachtruf „I do you“ der mächtigen Architektur von Mies van der Rohe. Die Bildhauerin gewann 2005 den Preis der Nationalgalerie, jetzt rückt sie in die Liga der Klassiker auf.
Geplant ist außerdem eine Ausstellung der ungarischen Malerin Judit Reigl, deren temperamentvolle Abstraktionen gerade im Museum Barberini neugierig gemacht haben. Der Performance-Veteran Tehching (Sam) Hsieh, ein Weggefährte von Marina Abramovic, erhält im nächsten Herbst einen Auftritt. 2024 folgen die Fotografin Nan Goldin, die bereits 1994 mit ihrer „Ballade der sexuellen Abhängigkeit“ im Mies-Bau zu Gast war, und Lygia Clark, Vertreterin des berückenden Neoconcretismo, der brasilianischen Moderne.
Aber erst einmal schiebt in der Performance von Allora & Calzadilla der kleine Mensch seinen schweren Flügel durch die heilige Halle und versucht aus den Tasten Götterfunken zu schlagen. Kopfüber und spiegelverkehrt. Dabei könnte das viel einfacher sein.
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