Die besten Comics 2021 – Ralph Trommers Favoriten
Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren – hier eine erste Auswahl der Ergebnisse. Unter allen Einsendenden werden wertvolle Buchpakete verlost.
Parallel dazu istwie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr erneut aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Christian Endres, Lara Keilbart, Rilana Kubassa, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne.
Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt.
Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet – daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 23. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.
Die Favoriten von Tagesspiegel-Autor Ralph Trommer
Platz 5: Russ Manning u.a.: „Star Wars – Die kompletten Zeitungsstrips 1“
Russ Manning (1929-81) ist vor allem als einer der besten „Tarzan“-Zeichner bekannt (hierzulande erschienen im Bocola-Verlag). Weniger geläufig sind seine Science-Fiction-Comics aus den 50er Jahren wie „Magnus Robot Fighter“ und „The Aliens“. Jahrzehnte später, 1979, durfte der Altmeister als sein letztes großes Projekt den ersten Star Wars-Zeitungsstrip zeichnen und schreiben (unterstützt durch Alfredo Alcala und diverse Autoren).
Diese Strips – bestehend aus stimmungsvollen schwarzweißen Tagesstrips und exzellent kolorierten Sonntagsstrips – sind nun das erste Mal auf Deutsch zu entdecken. Sie profitieren eindeutig von der großen Erfahrung und dem Können Mannings als realistischer Zeichner und passen in ihrer Stimmung perfekt zum leicht naiven, aber charmanten Spirit der ersten Star-Wars-Spielfilme.
Die Panels schwelgen geradezu in futuristischen Details und bezaubern durch ihre raffinierte Lichtgestaltung; die aus den Filmen bekannten Figuren werden gut getroffen (besser als in den parallelen Heftadaptionen) und bekommen weitere spannende Charaktere zur Seite gestellt.
Die eigenständig für den Strip entwickelten Geschichten sind straff und mit leichter Ironie erzählt. Eine echte Trouvaille, die auch unabhängig von den Filmhandlungen funktioniert und durch Mannings eleganten Strich zur lustvollen eskapistischen Lektüre einlädt.
Platz 4: Alfred: „Senso“ (Reprodukt)
Germano, ein leicht verpeilter Mann mittleren Alters, strandet einsam und verloren in einem mit einer Hochzeitsgesellschaft prall gefüllten Hotel in der italienischen Provinz. Die Begegnung mit der sympathischen, auch nicht mehr ganz jungen Elena heitert ihn auf. In „Senso“ erzählt der französische Zeichner Alfred („Come Prima“) eine tragikomische Geschichte um seinen liebenswerten Antihelden.
Mit schwungvollem Pinselstrich gelingt es ihm, seine leicht überzeichneten Figuren zum Leben zu erwecken, vor idyllischer südlicher Kulisse. Spätestens, als sich Elena und Germano bei Einbruch der Nacht in einem verwunschenen wilden Park verlieren, verwandelt sich die Geschichte in einen leicht surrealen Traum. Einen Sommernachtstraum. Die in ihren Lebensritualen gefangenen Großstädter entdecken dabei lange verschüttete Gefühle wieder.
Die warmen, expressiven Farben treffen vorzüglich die Stimmung eines Sommertages, während es sich in den bläulich-düsteren Nachtszenen auch mal leicht gruseln lässt. Der Flirt der beiden „gut gereiften“ Charaktere ist reich an Komik und zugleich lebensnah. Und auch die Nebenfiguren und Statisten der zarten Liebesgeschichte werden von Alfred sehr pointiert und lebendig gezeichnet. Erzählerisch wie grafisch ein Meisterwerk von großer Leichtigkeit.
Platz 3: Christian Durieux: „Spirou und Fantasio Spezial 32: Pacific Palace“
Das ehrwürdige französische Luxushotel „Pacific Palace“ wird für einen einzigen staatstragenden Gast reserviert, der Zuflucht vor der Verfolgung in seinem Heimatland sucht: Iliex Korda war jahrelang Präsident und „Großer Führer“ der „Demokratischen Republik Karajan“. Im Hotel sind die Sicherheitsmaßnahmen groß: Neben dem Direktor Herrn Paul ist nur ausgesuchtes Personal vor Ort. Darunter die Hotelpagen Spirou und Fantasio…
Der Zeichner Christian Durieux hat das beliebte belgische Comicheldenduo für den jüngst erschienenen Einzelband „Pacific Palace“ in ein ungewöhnliches Dekor versetzt – ein abgelegenes, wie aus der Zeit gefallenes Hotel. Mit der Konzentration auf einen Schauplatz verlässt der Band das übliche Schema der „turbulenten Abenteuer in aller Welt“, dem die klassischen Spirou-Comics seit den ersten Strips von 1938 verpflichtet sind.
In Durieux´ subtil angelegtem Kammerspiel fungieren die Hauptfiguren weniger als Handlungsträger denn als Zeugen eines raffinierten Polit-Dramas. Durieux zeichnet Spirou dabei als zurückhaltenden Jüngling – im Gegensatz zu seiner klassischen Rolle als smarter, weltläufiger Draufgänger. Sein Sidekick Fantasio ist dagegen ein übellauniger Möchtegern-Journalist – der nun seine Chance für die ganz große Story wittert.
Der belgische Zeichner überzeugt mit einem ausgefeilten Szenario, das im Kern eine zeitlose Satire auf den fragwürdigen Umgang eines demokratischen Staats mit Diktatoren erzählt, und verquickt dabei, virtuos wie Alfred Hitchcock, Suspense- mit Komödienelementen.
Nebenbei verzaubert Durieux mit einer gefühlvollen, dichten Liebesgeschichte um Spirou und Kordas hübsche Tochter Elena. Sein feiner, eleganter Zeichenstil brilliert in der Ausgestaltung des Jugendstilhotels wie auch in der karikierenden Darstellung prägnanter Charaktere.
Platz 2: Markus Färber, Christine Färber: „Fürchtetal“
Die Graphic Novel „Fürchtetal“ handelt von der Depression und dem Suizid des Vaters der Geschwister Markus und Christine Färber. Vor rund zwei Jahren nahm sich ihr Vater unerwartet das Leben. Eine Korrespondenz über Messengerdienste begann zwischen den Geschwistern: Die Journalistin Christine versuchte, für ihre Trauer Worte zu finden, die von zärtlichen Kindheitserinnerungen bis hin zu persönlicher Fassungslosigkeit, körperlichen Beschwerden und tiefen Ängsten künden. Der Bruder antwortete darauf mit Comicsequenzen.
Ergebnis dieses Dialogs ist das vorliegende Buch, ein beeindruckendes Stück Trauerarbeit und zugleich ein präzises Dokument dafür, wie Gefühls- und Gedankenwelten über Menschen hereinbrechen, wenn ein nahestehender Mensch stirbt. Markus Färber überrascht auf fast jeder Seite mit Bildern von traum-ähnlicher Qualität, um seinen Vater und dessen von Ängsten geprägte innere Welt darzustellen, aber auch den Umgang der Geschwister mit dessen verzweifelter Tat.
Nach dem Suizid bekommen „der Wald“, in dem die Familie früher wanderte, „das Fürchtetal“ und seine Wege eine neue, unheilvolle Bedeutung. So nimmt der Comic geradezu märchenhafte und phantastische Züge an, erinnert motivisch an die deutsche Romantik, verliert jedoch nie die Bodenhaftung.
Färber zeichnet ganz klassisch mit Pinsel und Tusche, seine Charaktere sind zeichenhaft, aufs Äußerste stilisiert. Eine kunstvoll gestaltete und in dichter, poetischer Sprache verfasste grafische Erzählung, die ihre Leser in einen dunklen Sog hineinzieht.
Platz 1: Paco Roca: „Rückkehr nach Eden“
Fünf Personen an einem Tisch am Strand sind auf dem alten, vergilbten Familienfoto zu sehen. Ein Foto wie viele andere, das jedoch viele Geschichten birgt. Der spanische Comiczeichner Paco Roca baut seine neue Graphic Novel „Rückkehr nach Eden“ ganz auf diesem unscheinbaren Bild auf und kehrt immer wieder zu ihm zurück.
Protagonistin ist Paco Rocas Mutter Antonia, die als junges Mädchen auch auf dem Foto zu sehen ist, das 1946 am Strand bei Valencia entstanden ist. Sie und ihre Familie stehen im Zentrum der Graphic Novel.
In der Gegenwart, nachdem die betagte Antonia zu einem ihrer Kinder gezogen ist, sucht sie nach besagtem Foto. Geradezu verzweifelt fragt sie immer wieder danach, und ihre drei Söhne suchen nun überall danach, um sie aus ihrer Depression herauszuholen.
Paco Roca steigt so in das Porträt seiner Vorfahren ein, das sich zum Fresko einer ganzen Epoche entwickelt. Es ist das Spanien der frühen Franco-Ära, der Bürgerkrieg ist bereits vorbei. Das Land ist verwüstet. die Bevölkerung Valencias leidet Not, und innerfamiliäre Konflikte kommen dazu.
Roca lässt die berührenden, zum Teil erschütternden Erinnerungen seiner Mutter in seinen sorgfältig getuschten klaren Zeichnungen wieder lebendig werden, taucht sie in dunkle Grau-, Sepia- und Brauntöne, sodass sie mit den in den Comic integrierten alten Fotografien eine Einheit bilden.
Mit pointierten Strichen gelingt es ihm, seine Charaktere deutlich und durchaus tiefgründig zu konturieren. Das Spanien der kleinen Leute mit all ihren alltäglichen Sorgen wird realistisch dargestellt und nicht glorifiziert.
Der Zeichner knüpft damit an seine 2015 entstandene Graphic Novel „La Casa“ an, in der er den Tod seines Vaters verarbeitete. „Rückkehr nach Eden“ ist ein eindringliches Gesellschafts- und Generationenporträt. Zugleich ist es eine Hommage an die eigene Mutter, deren teils verklärte, teils bittere Erinnerungen an eine vergangene Epoche hier wahrlich vor dem Vergessen gerettet werden.