Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow: Aus dem Exil gegen den Krieg

„Liebe ist nichts für Anfänger:innen“ lautet der Übertitel der Mozart-Oper „Così fan tutte“ an der Komischen Oper Berlin. Seit März ist Kirill Serebrennikows Züricher Inszenierung von Mozarts „Schule der Liebenden“ im Haus an der Behrenstraße zu sehen.

Die Regie-Arbeit entstand 2018, da saß Serebrennikow in Moskau im Hausarrest, er leitete die Proben mittels Video und mithilfe langjähriger Miterabeiter:innen vor Ort in der Schweiz. Nun spielt seine „Così“ in der Stadt, in der der russische Starregisseur seit mittlerweile einem Jahr lebt. Seit Beginn des Kriegs, den Russland unter Präsident Waldimir Putin gegen das Nachbarland Ukraine führt.

Serebrennikow lebt seit März 2022 in Berlin

Es war ein langes Jahr für den Neuberliner aus Moskau. Nicht nur die Liebe ist nichts für Anfänger. Noch schwieriger dürfte es sein, als russischer Künstler, der als Kritiker des russischen Präsidenten in Russland selbst jahrelang gegängelt wurde, heute im Exil einen kühlen Kopf zu bewahren. „Ich will es hinausschreien“, sagt Kirill Serebrennikow: „Bitte hört auf, Menschen umzubringen! Stoppt den Krieg, stoppt die Gewalt! Der Bombe ist es egal, wen sie umbringt. Die Bombe zerstört einfach das Haus, mit allen, die darin wohnen.“

Kirill Serebrennikow ist im Zoom-Gespräch mitteilungsbedürftig und nachdenklich zugleich. Wie hat er Deutschland in diesem Kriegsjahr erlebt? „Ich verstehe, dass es für die Deutschen sehr schmerzhaft und traumatisch ist, sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine an einem neuen Krieg zu beteiligen.“ Er hält die Debatte darüber für sinnvoll. Hier wisse man, dass Krieg niemals Sieg bedeutet. In Russland, fürchtet er, steht diese Erkenntnis der Bevölkerung erst bevor. Er spricht jeden Tag mit seinem 90-jährigen Vater, der in Rostov am Dom lebt. Und der den Krieg hasst.

Szene aus Kirill Serebrennikows aktueller Inszenierung von „Così fan tutte“ an der Komischen Oper in Berlin.
Szene aus Kirill Serebrennikows aktueller Inszenierung von „Così fan tutte“ an der Komischen Oper in Berlin.
© Monika Rittershaus

Sein Vater ist Jude, seine ukrainische Mutter unterrichtete Russisch. Simplifizierende Konzepte von Freund und Feind greifen allein schon in seiner Familie nicht. „Unsere Welt ist so fragil. Und es ist so einfach, sie zu zerstören“ sagt der 53-jährige: „Es ist unsere Verantwortung, die Kultur zu erhalten, das menschliche Leben zu erhalten. Das ist doch ganz einfach. Wenn man die Vase zerbricht, dann ist sie kaputt. Man kann sie nicht mehr so zusammensetzen, wie sie vorher war.“

Der Moskauer Künstler war Zeuge des langsamen Verfalls der demokratischen Freiheiten in Moskau. Serebrennikows Karriere begann im Moskau der neunziger Jahre, als die Hoffnung auf mehr Kunstfreiheit die Szene in der russischen Hauptstadt beflügelte. Seine Produktion von Wassili Sigarews „Plastilin“, das den post-sowjetischen Morast Russland beschreibt, katapultierte ihn 2001 als jungen Wilden in die Theaterszene.

Unsere Welt ist so fragil. Und es ist so einfach, sie zu zerstören.

Kirill Serebrennikow

Bald inszenierte er am traditionsreichen Tschechow-Theater, am Bolschoi-Theater, am Mariinski in St. Petersburg. Neben vielen internationalen Produktionen wurde er dann auch noch Theaterdirektor und hauchte dem Gogol-Theater in Moskau ab 2012 einen rebellischen Atem ein. Und er drehte international beachtete Filme, „Ehebruch“ und „Der die Zeichen liest“.

2017 wurde Serebrennikow wegen Veruntreuung verhaftet

Doch die Schlinge des Putin-Regimes legte sich immer enger um die freien Künste und begann den Künstlern, die Luft zu nehmen. 2017 wurde Serebrennikow verhaftet, man warf ihm Veruntreuung staatlicher Subventionen vor. Er arbeitete jedoch einfach im Hausarrest weiter, er nahm das Homeoffice der Corona-Pandemie für sich vorweg. Seine Produktion über den russischen Ballettstar „Nurejew“ für das Bolschoi-Theater fand im Dezember 2017 zwar statt – aber ohne ihn. Er musste zu Hause bleiben. Serebrennikow hatte Nurejew nicht zufällig als Titelfigur gewählt: Nurejew hatte der Sowjetunion 1961 den Rücken gekehrt. Und er war homosexuelle. Wie Serebrennikow.

Im zunehmend homophoben Putinismus wurde Serebrennikows Spielraum immer enger. 2020 wurde er zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, 2021 als Direktor des Gogol-Zentrums gefeuert. „Während meines Hausarrests habe ich immer darauf gewartet, dass sie mich abholen“, sagt er. Wie einst Dmitri Schostakowitsch, der in den Jahren von Stalins Terror mit einem gepackten Koffer nachts neben dem Lift auf seinen Arrest gewartet hatte.

Doch Kirill Serebrennikow hatte Glück. Im April 2022 konnte er Moskau verlassen. „Sie wollten wahrscheinlich alle loswerden, auf deren Loyalität sie sich nicht verlassen konnten.“ Seine Reputation als Opern-, Theater und Filmregisseur, der stets kritisch gegenüber dem russischen Regime gewesen war, machte ihm den Umzug nach Berlin leichter. Als sein Film „Tschaikowskis Frau“ in Cannes 2022 das Festival eröffnete – auch „Petrov’s Flu“ lief 2021 dort – , sagte er vor laufender Kamera „Nein zu diesem Krieg“.

Die meisten Exilrussen schlagen sich in diesen Monaten mit Absagen und Arbeitslosigkeit herum. Viele deutsche und europäische Institutionen reagieren reserviert auf alles Russische.

Serebrennikow hat keine Berührungsängste

Serebrennikow ist eine der wenigen Ausnahmen. In Berlin bildet „Così fan tutti“ den Auftakt zum einem Da-Ponte-Zyklus an der Komischen Oper, für die nächsten Spielzeiten soll Serebrennikow auch Mozarts „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ neu einrichten. An der Wiener Staatsoper läuft im April wieder seine Inszenierung von Wagners „Parsifal“, die der Regisseur 2021 ebenfalls aus seinem Wohnzimmer in Moskau inszeniert hatte. Nächstes Jahr nimmt er sich in Wien Verdis „Don Carlos“ vor. In letzter Zeit hatte er unter anderem bereits eine „Salome“ in Stuttgart, einen „Barbier von Sevilla“ in Berlin und „Nabucco“ in Hamburg gezeigt.

Wir wissen aus der Geschichte, wohin Nationalismus führt.

Kirill Serebrennikow

Der Vielbeschäftigte hat kaum Berührungsängste. Er wechselt von Klassikern wie Mozart, Wagner oder Schostakowitsch zu zeitgenössischen Komponistinnen wie der Österreicherin Olga Neuwirth, deren „American Lulu“ er bereits 2012 an der Komischen Oper inszeniert hatte. Ihre Musik hält er für „ganz besonders“, nennt sie „atemberaubend“.

Keine Berührungsängste hat er auch bei russischen Komponisten. Seit Kriegsbeginn wird immer wieder gefordert, und nicht nur aus der Ukraine, dass aus Solidarität mit den Kriegsopfern selbst Klassiker wie Tschaikowski aus den Opern- und Konzerthäusern verbannt werden sollen. „Ich kann verstehen, warum die Ukrainer so etwas fordern. Befände ich mich im Krieg unter Bombenhagel, täte ich das vermutlich auch. Aber wir sollten keinen Konflikt der Nationen aus diesem Krieg machen. Wir wissen aus der Geschichte, wohin Nationalismus führt.“

Serebrennikow hat oft mit Teodor Currentzis zusammengearbeitet. Der russische-griechische Dirigent wird kritisiert, weil er sich nicht strikt von Putin distanzierte und sein Ensemble MusicAeterna von regime-nahen Geldgebern wie der VTB Bank finanziert wird.

„Ich maße mir kein Urteil über andere an“, sagt Kirill Serebrennikow. „Wir haben in unseren frühen Leben oft zusammengearbeitet.“ Zur Zeit, sagt er ausweichend, hat er keine weiteren Projekte mit Currentzis geplant.

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