Aus dem Eiskanal ins Parlament
Knapp zehn Jahre ist es her, dass Carlos Kasper mit 130 Stundenkilometern auf einem Schlitten den Eiskanal hinunterraste. Damals war er Leistungssportler und trainierte regelmäßig in Winterberg oder Altenberg; auf den schnellsten Rennrodelbahnen Europas. Heute sitzt der 27-Jährige für die SPD-Fraktion im Bundestag und befasst sich mit Themen wie Zoll und Umwelt. Er zog über die Landesliste Sachsen in das Parlament ein.
Die ersten Tage im Bundestag seien vor allem anstrengend gewesen, sagt Kasper. „Im Wahlkampf schläft man nicht viel und die gesamte Wahl war ziemlich aufregend.“ Dass seine Partei in Sachsen über 19 Prozent der Stimmen holen und noch vor der CDU liegen würde, habe er nicht erwartet. „Zweitstärkste Kraft zu werden, haben wir uns nicht einmal in unseren kühnsten Träumen erhofft.“
Besonders freut Kasper sich darüber, dass ein Viertel der neuen SPD-Bundestagsfraktion aus Jusos besteht. Es sei nicht nur die Jugendbewegung mit den meisten Mandaten überhaupt, sondern zudem eine sehr diverse Gruppe.
Er selbst ist einer von mindestens 23 offen queeren Abgeordneten und froh darüber, dass der Bundestag „deutlich vielfältiger und diverser“ ist und eine Vielzahl der Abgeordneten offen mit ihrer „sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität abseits der heteronormativ geprägten Vorstellung“ umgehen. So sind mit Nyke Slawik und Tessa Ganserer von den Grünen etwa die ersten trans Frauen eingezogen. „Wir brauchen insgesamt mehr queere Repräsentanz in der Gesellschaft, nicht nur im Deutschen Bundestag“, sagt Kasper.
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Kasper, der im sächsischen Lichtenstein aufgewachsen ist, hat eher einen ungewöhnlichen Weg in die Politik hinter sich: Im Alter von sechs Jahren fing er mit Wintersport an, damals noch im Urlaub mit seinen Eltern. Wenige Jahre später brachte seine Mutter ihn dann auf die Idee, Rennrodeln auszuprobieren und Kasper war schnell fasziniert: „Die Geschwindigkeit ist echt cool und es ist ein tolles Gefühl, auf dem Schlitten zu liegen und die Bahn herunterzufahren.“
Er glaubt, dass es in dem Alter einfacher sei, mit dem Rodeln anzufangen, „weil man sich des Risikos noch nicht richtig bewusst ist“. Später ging Kasper auf ein Wintersportgymnasium und nahm an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil. Besonders gern erinnert er sich daran zurück, wie er bei den Junioren Bronze bei der Deutschen Meisterschaft holte und den Nationencup am Königssee gewann.
Als Junior war einst Dritter bei den deutschen Rodel-Meisterschaften
„Er hatte eine sehr gute Trainingseinstellung und eine gute Abstimmung zwischen Schule, Sport und den Eltern. Das ist sehr wichtig“, sagt Andreas Estel, der damals Trainer am Olympiastützpunkt in Oberwiesenthal war. „Dabei ist es gar nicht leicht, Schule, Sport und den Rest unter einen Hut zu bringen.“
Während seiner Abiturzeit stellte Kasper allerdings fest, dass seine sportlichen Leistungen nicht mehr ausreichten. Er fragte sich, ob er Rennrodeln wirklich sein Leben lang machen wolle und was es „der Gesellschaft bringen“ würde. „Da war die Motivation nicht mehr da.“ Also hörte er mit dem Rennrodeln auf, weil es als Hobby zu teuer wurde und ihm zudem die Zeit fehlte. Stattdessen trat er der SPD bei und absolvierte ein duales Studium. „Meine Eltern haben ganz viel Geld in mich gesteckt während der Leistungssportkarriere, da wollte ich sie entlasten.“
Sport zählt aber weiterhin zu Kaspers Leidenschaften, wenn auch nur in seiner Freizeit. „Ich mache zwar selbst gerne Sport, aber Sportpolitik ist überhaupt nicht meins.“ Am liebsten geht er joggen oder spielt Volleyball. Auf politischer Ebene möchte er das Thema Zoll in den Vordergrund rücken und sich im Bundesfinanzausschuss dafür einsetzen, dass der Zoll zu einer Bundesfinanzpolizei umgebaut wird. Auch die Themen Natur und Nachhaltigkeit stehen auf seiner Agenda. So besitzt Kasper neben zwei Katzen außerdem einen Kleingarten in Lichtenstein, wo er Obst und Gemüse anbaut und der ein „wichtiger Rückzugsort“ für ihn ist.
Als Andreas Estel in der Zeitung las, dass Kasper in den Bundestag gewählt wurde, rief er seinen ehemaligen Schüler rasch an und beglückwünschte ihn. Er bedauere es zwar, dass Kasper den Leistungssport verlassen hat, aber freue sich zugleich, dass er es in die Politik geschafft habe.
Im Bundestag rücken die Erinnerungen an die Bahn in Winterberg zunehmend in den Hintergrund, aber einige Fähigkeiten, die er in seiner Zeit als Leistungssportler gelernt hat, kommen Kasper heute noch zugute. „Man muss fokussiert sein auf das Endergebnis. Das nehme ich aus der Zeit damals mit“, sagt er, „und man muss ehrgeizig sein und für seine Ziele einstehen“. Ein Gedanke habe sich besonders eingebrannt: Immer weiterkämpfen – auch wenn es mal schlecht läuft.