„Je schlimmer die Lage, desto wichtiger unsere Arbeit“: Die Friedensbotschaft der Barenboim-Said-Akademie
In kleinen Gruppen stehen junge Musikerinnen und Musiker vor der Barenboim-Said Akademie in Berlin-Mitte, sie unterhalten sich lebhaft. Gerade beginnt das neue Semester, von Normalität kann derzeit allerdings keine Rede sein.
Der durch einen brutalen Überfall der radikalislamischen Hamas ausgelöste Krieg in Israel und im Gazastreifen belastet auch den Alltag der Studenten, die größtenteils aus dem Nahen Osten kommen. Israelis treffen hier auf Kommilitonen aus Palästina, Syrien, Ägypten oder dem Libanon.
„Das, was in den letzten Tagen in der Region passiert ist, hat eine andere Dimension als die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre“, sagt Michael Barenboim, Dekan der Akademie und Professor für Violine und Ensemblespiel. „Unsere Studierenden empfinden die Situation als sehr bedrückend, die Solidarität untereinander ist aber umso größer. Auch in schweren Zeiten wie diesen ist man immer für die anderen da.“
Auch diejenigen, deren Heimatländer miteinander verfeindet sind, schließen sich hier zusammen.
Daniel Barenboim, Dekan Barenboim-Said Akademie
Sein Vater, der Dirigent Daniel Barenboim, gründete die Akademie, die Ende 2016 offiziell eröffnet wurde. Ihr Name erinnert auch an seinen Weggefährten, den amerikanisch-palästinensischen Gelehrten Edward Said. Zurzeit werden dort rund 80 Studenten nicht nur in Musik, sondern auch in Geschichte, Philosophie und Literatur unterrichtet.
Diskussion und Verständigung
„In der Akademie hat sich eine Kultur der Diskussion und Verständigung herausgebildet, die von den jungen Leuten aktiv gelebt wird. Ihr Umgang miteinander entspricht so gar nicht dem Bild, das uns die täglichen Nachrichten vermitteln“, meint Michael Barenboim. „Auch diejenigen, deren Heimatländer miteinander verfeindet sind, schließen sich hier zusammen. Wenn jemand mein Pultnachbar und Studienkollege ist, dann ist er für mich kein Fremder mehr. Je schlimmer die Lage in der Welt ist, desto wichtiger wird unsere Arbeit.“
Daniel Barenboim hat dieser Tage eine Friedensbotschaft verbreitet, in der er die „barbarischen, terroristischen Akte der Hamas gegenüber Zivilisten“ entschieden verurteilt. Eine Lösung für den Konflikt gibt es nach seiner Überzeugung nur „auf der Grundlage von Humanismus, Gerechtigkeit und Gleichheit – und ohne Waffengewalt und Besatzung“, wie er in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt.
Für diese Ideale steht auch das 1999 von Barenboim und Said ins Leben gerufene West-Eastern Divan Orchestra, das weltweit auf Tournee geht – nur nicht in den Ländern des Nahen Ostens. Seine Mitglieder stammen aus Israel, vielen arabischen Staaten sowie aus der Türkei, Nordafrika und Spanien. In dieser Formation darf das Orchester in den meisten Herkunftsländern seiner Musiker nicht auftreten.
Michael Barenboim kam kurz nach der Gründung dazu, seit zwanzig Jahren ist er dort Konzertmeister. Unvergesslich bleibt ihm ein Konzert des Orchesters in Ramallah Im Westjordanland im August 2005. „Das war ein einmaliges Wagnis, so etwas wird es so bald nicht wieder geben. Aus heutiger Sicht ist ein solches Projekt völlig utopisch. Die Lage vor Ort hat sich erheblich verschlechtert, nicht erst in der letzten Woche, sondern schon seit mehreren Jahrzehnten.“
„Ich fühlte mich wie ein Soldat, aber nicht wie im Krieg, sondern wie ein Soldat für Musik und Frieden“
Oboistin Meirav Kadichevsk
Ausgestattet mit spanischen Diplomatenpässen reisten die israelischen und arabischen Musiker während einer internationalen Tournee getrennt zum Konzertort. Die erste Gruppe gelangte über Tel Aviv und Jerusalem nach Ramallah, die anderen über Amman und den einzigen Grenzübergang zwischen Jordanien und dem Westjordanland bei Jericho.
„Ich fühlte mich wie ein Soldat, aber nicht wie im Krieg, sondern wie ein Soldat für Musik und Frieden“, erinnert sich die israelische Oboistin Meirav Kadichevski. In einem vor einem Jahr im Pierre Boulez Saal präsentierten Fernsehfilm von Anne-Kathrin Peitz werden neu gefilmte Gespräche mit Zeitzeugen den Dokumentaraufnahmen von damals gegenübergestellt.
Mehr als 1400 Konzertbesucher kamen in den streng gesicherten Kulturpalast von Ramallah, um die Musiker unter Leitung von Barenboim Mozart, Beethoven und Elgar spielen zu hören. Der Andrang war so groß, dass viele Zuhörer im Saal auf dem Boden sitzen mussten.
Verständnis und Interesse wecken
Dieses Konzert könne zwar keinen Frieden schaffen, dafür aber Verständnis und Interesse für die Sichtweise des Anderen wecken, erklärte Barenboim vor dem Publikum. „Entweder wir bringen uns alle gegenseitig um, oder wir lernen zu teilen, was es zu teilen gibt.“
Wie gemeinsames Musizieren selbst tiefe Gräben überwinden kann, bringt der libanesische Cellist Nassib Ahmadieh auf den Punkt. „Wir sind alle Musiker. Wenn jemand sein Instrument sehr gut beherrscht, kann man nicht anders, als diesen Menschen zu bewundern, unabhängig von seiner Religion oder Nationalität.“
Dass das West-Eastern Divan Orchestra eines Tages in allen Heimatländern seiner Mitglieder spielen könnte, ist ein Zukunftstraum von Michael Barenboim. „Im Moment ist so etwas gar nicht vorstellbar. Aber wenn es uns eines Tages gelänge, wäre das großartig.“