Wir gegen die: Tellkamp nimmt Rammstein gegen vermeintliche Ressentiments in Schutz
Vier Abende lang sind Rammstein jetzt in München aufgetreten, vor insgesamt einer Viertelmillion Menschen, scheinbar unbeeindruckt von den Vorwürfen gegen Till Lindemann, sieht man einmal von dem Verzicht auf die Peniskanone und den Song „Pussy“ ab. Von „ausnahmslos unwahren“ Vorwürfen spricht Lindemanns Anwaltskanzlei.
Es mag Zufall sein, dass an diesem Münchener Rammstein-Wochenende das Gespräch mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp in dem You-Tube-Interview-Format des einstigen „Bild“-Zeitungsredakteurs Ralf Schuler auf Sendung ging, „Schuler! Fragen, was ist“.
Tellkamp spricht auch in eigener Sache
Beide kommen darin auf Rammstein zu sprechen, und Tellkamp bekennt: „Ich werde nach wie vor Rammstein hören. Ich bin großer Fan, bekennender Fan. Ich mag Lindemanns Lyrik.“ Und nicht nur das: Tellkamp ergreift konkret Partei für die Band, für Lindemann. Er sehe, „dass nichts wirklich da ist“, „dass die eine Influencerin sich schon distanziert hat“. Und dass der Verlag Kiepenheuer &Witsch sich „ohne wirklichen Beweis“ von Lindemann getrennt habe: „Das finde ich perfide, das finde ich heuchlerisch, das steht mir bis hier!“
Rammstein sind für Tellkamp, so „platt und primitiv“ das klinge, wie er einschränkt „die AfD des Gefühls“. Nur vermag er diesen Vergleich nicht genau zu erklären. Die linken Zusammenhänge, aus denen die Band kommt, ihre Tabubrüche, ihre geistiges Freisein, „bitte, dafür ist Kunst da, sie muss zu weit gehen“ – all das führt der Schriftsteller für die Gefühls-AfD ins Feld.
Man hat den Eindruck, dass er hier nicht zuletzt in eigener Sache spricht. Tellkamp nimmt Rammstein gegen vermeintliche, ewig währende Ressentiments in Schutz: wir gegen die. Die, die sich was zu sagen trauen, so wie er, die ausgegrenzt werden, so wie die AfD etwa in Talkshows – sie alle gegen den linksliberalen Mainstreammedien-Komplex.
So als glaubten auch Rammstein, gewissermaßen die Rache der DDR an der Wiedervereinigung, ähnlich wie Tellkamp, dass es wie einst in der DDR erneut Sprech- und Denkverbote gebe, die berühmten „Gesinnungskorridore“ immer enger gezogen würden. Wie weit Till Lindemann dabei mutmaßlich gegangen ist mit seinen Lyrik-und-Leben-Abgleichen, das ist dem Kunstverteidiger Tellkamp offensichtlich egal.