Pianist Rudolf Buchbinder in Berlin: Was das Menschensein ausmacht

Schon im Orchestervorspiel des letzten Klavierkonzertes wird der Reichtum Mozart‘scher Musik offenbar: Eine gewisse Leichtigkeit, die gesangliche Qualität, dann das Augenzwinkern der kecken Vorschlagsnoten, Lebensfreude, Wärme. In der Eintrübung nach Moll schließlich der Zweifel, vielleicht eine schmerzliche Erinnerung, Hoffnung ja; über einige harmonische Windungen schließlich der Weg zurück ins Licht. Auf kleinstem Raum ist im Idiom Mozarts alles das, was Menschsein ausmacht kondensiert.

Duftend und blumig, hoch stilisiert freilich, mag diese fein gewebte Musik dem modernen Ohr – immerhin fast 250 Jahre nach ihrer Entstehung – erscheinen. Dass hier viel mehr als Formelhaftes zu erfahren ist, zeigt Rudolf Buchbinder. Er spricht fließend „Mozartisch“: Die Form schafft hier der Empfindung den Raum, wird zur Leinwand des Intersubjektiven, auf der das Individuelle erst hervortreten kann.

Kühn und richtig zugleich

Zwar sind Buchbinders Lesarten auf Stringenz angelegt, gehen von der Binnenspannung der Phrasen sowie der Gesamtdimension des Satzes aus, und doch läuft sein strukturelles Denken nie Gefahr, leer oder indifferent zu werden. Vielmehr verkörpert die Wiener Klavierlegende ebenjene Attribute, mit denen Alfred Brendel einst geniales Klavierspiel definierte: „Kühn und richtig zugleich“ soll es sein.

Buchbinder beeindruckt vor allem durch seine Musizierhaltung, die nichts Auftrumpfendes oder Überlegenes kennt, vielmehr in Bescheidenheit aus dem Inneren der Musik schöpft, ohne ihr aus opportunistischen Show-Gründen äußerlich Gewalt anzutun. Fast scheint es, als schließe sich der Kreis in Buchbinders Karriere – denn wie er als Kammermusiker des Wiener Klaviertrios einst auf den internationalen Bühnen erschien, so sitzt er jetzt beim Berlin-Gastspiel mit den Festival Strings Lucerne als Partner im Kammerorchester.

Umso betörender geraten dann die solistischen Momente. In „kühner“ Meisterschaft dunkelt Buchbinder die Moll-Trübung in der Durchführung des ersten Satzes von KV 595 zur Trauer-Insel ab oder verzaubert im zweiten Satz von KV 467, wenn die Kantilene des eröffnenden Klaviersolos mit den milchigen Achtel-Akkorden der linken Hand verschmilzt. Dabei bleibt das Als-ob immer in Griffweite: Lächelt da nicht der Mozart’sche Geist aus dem Klavier, wenn Buchbinders Tonleitern sich in Aufwärtsbewegung gen Himmel verjüngen, leiser werden, und als unaufgelöste, beinahe relativierende Gesten in den Raum schweben?

Blind, so scheint es, verstehen sich Buchbinder und die Festival Strings Lucerne. Im Grunde dirigiert er ja auch gar nicht, gibt nur die Einsätze und lauscht den Mitmusikern. Und die wissen zu inspirieren, nehmen Buchbinders leichtes Parlando auf und sich in elastischen Rhythmen und engagierten Holzbläser-Impulsen doch immer eines zu Herzen. „Nie sentimental“ darf die Musik Mozarts sein, so postulierte es einst der Dirigent Karl Böhm.