Denis Scheck bespricht die Bestsellerliste: Mächte der Selbstwirksamkeit

10.) Gabriel Zuchtriegel: Vom Zauber des Untergangs: Was Pompeji über uns erzählt (Propyläen, 240 S., 29 €)

Goethe notierte bei seinem Besuch in Pompeji, viel Unheil sei auf der Welt geschehen, aber noch nie so sehr den Nachkommen zur Freude. Gabriel Zuchtriegel, der deutsche Direktor der im Jahr 79 nach Christus unter einem dreitägigen Bimsstein- und Asche-Regen verschütteten Stadt, erzählt in seinem blitzgescheiten Sachbuch von Fastfood, Sklaverei und der allgegenwärtigen Erotik in Pompeji – vor allem von unseren heutigen Motiven, uns mit der Antike zu beschäftigen.

9.) Brianna Wiest: When you are ready, this is how you heal (Deutsch von Renate Graßtat, Piper, 240 S., 22 €.)

Ein Psycho-Ratgeber, wie man mit Verlusten und dem damit einhergehenden Schmerz zurechtkommt. Sehr amerikanisch, aber in der Vermittlung von Erkenntnissen wie „Es ist dir wichtiger, glücklich zu sein als erfolgreich“ oder „Es gibt keine Ziellinie“ durchaus brauchbar.

8.) Yael Adler: Genial vital (Droemer, 399 S., 20 €.)

Eine medizinische Betriebsanleitung für unseren Körper in bisweilen forciert aufgekratzter Sprache, im Kern aber substanzreich und mit überraschenden Erkenntnissen wie: „Deutschland ist in Europa das Land, dessen Bevölkerung am stärksten von Darmkrebs betroffen ist: Siebzig von 100 000 Menschen pro Jahr erkranken daran, es ist die zweithäufigste krebsbedingte Toderursache bei Männern nach dem Lungenkarzinom. Bei Frauen liegt Darmkrebs auf Platz drei nach dem Brustkrebs und dem Lungenkarzinom.“

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

Hölderlin

7.) Bas Kast: Kompass für die Seele (C. Bertelsmann, 256 S., 24 €.)

Das Geheimnis des Wissenschaftsjournalisten Bas Kast besteht aus seiner kurzweiligen Vermischung von harter Recherche und persönlichen Anekdoten – und in seiner wirklich sehr eingängigen Schreibe. Auch wenn Eisbaden, Intervallfasten und Meditation sicher nichts für jeden sind und man darüber streiten kann, ob Ecstasy und LSD tatsächlich viel zur Erzeugung psychischer Stabilität beitragen: Bas Kast lesend kommt man sich ein wenig mehr auf die Schliche.

6.) Katja Hoyer: Diesseits der Mauer (Hoffmann und Campe, 592 S., 28 €.)

Aus Helga Schuberts Formulierung von der DDR als „Diktatur der Gartenzwerge“ erfahre ich mehr über diesen untergegangenen Staat als aus dieser Alltagsgeschichte aus der Perspektive von Mitläufern und SED-Parteigängern. Wer noch etwas von den alle Lebensbereiche umfassenden perfiden Repressionsmechanismen der DDR mitbekommen hat, den wird diese Geschichtsklitterung empören. Aber ein Gutes hat dieses Buch: lieber ein flotter polemischer Meinungsstreit über die historische Bewertung der DDR als Grabesruhe.

Bücherstapel auf der Frankfurter Buchmesse.
Bücherstapel auf der Frankfurter Buchmesse.
© dpa/Frank Rumpenhorst

5.) Brianna Wiest: 101 Essays, die dein Leben verändern werden (Deutsch von Ursula Pesch und Anja Lerz, Piper, 432 S., 22 €.)

Ist es möglich, allein durch Reflexion sein Leben zu ändern`? Zum Glück ja: dieses Buch ist ein lesenswerter Appell, die Mächte der Selbstwirksamkeit in seinem Leben zu entfesseln und wo nicht nach Perfektion, so doch nach Besserung zu streben.

4.) Helga Hirsch und Joachim Gauck: Erschütterungen (Siedler, 240 S., 24 €.)

Lange hat man ihn als „Säbelrassler“ denunziert: Alt-Bundespräsident Joachim Gauck rechnet zusammen mit seiner Co-Autorin Helga Hirsch in diesem Buch mit den Illusionen einer bundesdeutschen Ostpolitik ab, die auch dann noch auf Russland setzte, als Putins Aggressionsstrategie auf der Krim und anderswo längst durchschaubar war. Ein ermutigendes Plädoyer, unsere Demokratie gegen ihre inneren und äußeren Feinde zu verteidigen.

3.) Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung (Ullstein, 224 S., 19,99 €.)

Ist der deutsche Osten eine negative Projektionsfläche des Westens, wie der Literaturwissenschaftler suggeriert, ein Paradebeispiel des rassistischen „Othering“, ersonnen vom Westen, um sich ständig selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen? Alles Verdrängte, so ein Lehrsatz der Psychanalyse, kehrt früher oder später wieder und holt uns gnadenlos ein. Also lieber heute die xte Ossi-Wessi-Debatte führen als alles bequem unter den Teppich kehren. Historisch scheint mir eine Reflexion über Deutschlands Süden und Norden aber bedeutend sinnvoller.

2). Silke Müller: Wir verlieren unsere Kinder (Droemer, 224 S., 20 €.)

Die alarmistische Warnschrift einer Waldorfschullehrerin vor den Gefahren von Gewalt, Pornographie und Rassismus im Internet. Seit Sokrates sieht jede Generation ihre Kinder in einzigartigerweise gefährdet – sei es Religion, Politik oder jetzt das Internet. Tatsächlich sind die Angebote zur Verblödung und Verrohung aber auch vor dem Internet immer schon zahlreich gewesen. Oder mit Hölderlin gesprochen: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

1.) Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister (C.H. Beck, 191 S., 23 €.)

In seinem schmalen, überaus elegant konstruierten Sachbuch dokumentiert der Historiker Edwald Frie am Beispiel seiner eigenen Familiengeschichte den Untergang einer jahrhundertealten Lebensform: des deutschen Bauernstands. Sehr zu Recht wurde Frie dafür mit dem Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet.