Zum Tod des Schriftstellers Walter Kappacher: Ein Seltener im Kabuff unter der Treppe
Als Walter Kappacher im Oktober 2009 in Darmstadt seine Dankesrede für den Georg-Büchner-Preis hielt, sprach er davon, dass von Kind an die Welt für ihn immer ein „Gegenpol“ gewesen sei, „gegen den ich mich zu wehren hatte.“ Folglich landete er in der anderen Welt, der der Fantasie, der des Theaters, der der Literatur, und begann von früh an selbst zu schreiben, ohne sich damit zunächst entscheidend gegen die Welt zur Wehr setzen zu können.
Tatsächlich blieb der 1938 in Salzburg geborene Kappacher auch dann, als er in seine frühen Vierzigern eine freie Schriftstellerexistenz begann, eher unbeachtet vom großen Literaturpublikum. Er entwickelte sich fortan zu einem Schriftsteller, der still, aber zielstrebig seine Arbeit tat und bevorzugt von anderen Autoren hoch geschätzt wurde: ein sogenannter writer´s writer, „ein Seltener“, wie ihn Peter Handke einmal nannte.
Unlebbarkeit des Lebens
Martin Walser war es, der Mitte der siebziger Jahre in Deutschland auf den österreichischen Kollegen aufmerksam machte, gerade weil er in ihm einen Gleichgesinnten sah, Kappacher in Walsergefilden unterwegs war. In Romanen wie „Morgen“, „Die Werkstatt“ oder „Der lange Brief“ stellte Kappacher Angestellte ins Zentrum des Geschehens, Figuren, die das Dasein des Büroalltags nicht mehr ertragen, die die „Unlebbarkeit des Lebens“ (Walser) beklagen und versuchen, ein Gegenleben zu verwirklichen.
Kappacher war selbst lange Jahre als kaufmännischer Angestellter in Büros, bevorzugt Reisebüros tätig; zuvor musste er jedoch auf Geheiß seines Vaters eine KFZ-Ausbildung machen und erlernte das Handwerk eines „Motorrad-Mechanikers, das Zerlegen, Reparieren und Zusammenbauen der Motoren.“ Diese Erfahrungen gingen in seine Romane ein.
„Die Werkstatt“ handelt von einem jungen Mechaniker, der in den USA eine Karriere als Stock-Car-Fahrer macht; der 2001 erschienene Roman „Silberpfeile“ erzählt von einem Motorsportjournalisten, der über eben jene deutschen Rennwagen der dreißiger Jahre, die Silberpfeile, und deren in das NS-Regime verstrickten österreichischen Konstrukteur Paul Windisch recherchiert.
So ungewöhnlich Sujets wie dieses, so durchschnittlich seine Helden, so beharrlich arbeitete Kappacher an seinem Werk. Es enthält Spuren von Kafka und Hugo von Hofmannsthal, von Henry James (den er übersetzt hat), Adalbert Stifter und Karl Philipp Moritz. Besonders letzterer hatte es ihm angetan: „Nachdem ich den ,Anton Reiser‘ von Karl Philipp Moritz gelesen hatte“, so Kappacher in seiner Büchnerpreisrede, „war mir, als könnte mir nichts mehr geschehen. Lange bevor ich mir als Autor vorkam, hatte ich bei Hofmannsthal gelernt, der Platz des Dichters sei in dem Kabuff unter der Treppe.“
Eigensinnig und sich selbst gewiss
Kappachers psychologisch-realistische Prosa ist eine eigensinnige, bedächtig-ruhige, sich selbst gewisse. Seine Helden sind immer um Erkenntnis bemüht, darum, Freiheit zu erlangen von den Bedrängnissen ihrer Existenzen, sei diese Freiheit nun rein geistiger Art oder sei sie ganz konkret. Kappacher musste den „Kabuff unter der Treppe“ schließlich doch einmal verlassen, und so richtig recht schien ihm das gar nicht zu sein, zurückhaltend wie er war, als er dann spät, aber alles andere als unverdient 2009 zu Georg-Büchner-Preis-Ehren kam.
Auf einmal interessierte sich auch die große Literaturwelt für seine Romane, der Buchmarkt: für seinen vielleicht schönsten, „Selina oder Das andere Leben“, 2005 erschienen. Dieser erzählt von einem Lehrer, der ein Jahr eine Auszeit in der Toskana nimmt, einen Bauernhof renoviert und sich in philosophischen Lebensreflexionen verliert.
Und vor allem für „Der Fliegenpalast“. Darin nähert sich Kappacher einem seiner literarischen Helden, Hugo von Hofmannsthal. Er porträtiert diesen als alternden, an sich selbst zweifelnden Schriftsteller, der an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt. Wie heißt es dort am Ende: „Vielleicht wäre es eine Wohltat, in unheilvollen Zeiten wie diesen, in denen die Sprache zur bloßen Konvention herabgewürdigt ist, eine Zeitlang zu schweigen, (…). Am Freitag ist Walter Kappacher in seiner Heimatstadt Salzburg gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.