Gute Kunst schlägt schmutziges Geld
Das Verhältnis von Kunst und Aktivismus beschäftigt die Kulturszene in den vergangenen Jahren zunehmend. Von fragwürdigen Spendengeldern in renommierten New Yorker Ausstellungshäusern bis hin zu den aktuellen Kontroversen auf der Documenta, in denen die eigentlich klar definierten Positionen zwischen Kolonalismuskritik und Antisemitismus bewusst oder unbewusst verwischt werden, herrscht gerade eine erhöhte Sensibilität im Betrieb.
Auch auf Filmfestivals ist die richtige Haltung momentan das große Thema: In Venedig zählt man dieses Jahr sogar die Klimabilanz der angereisten Journalist:innen, und der 8. September wurde am Lido zum „Ukraine-Tag“ ausgerufen. Dass bei all dem begrüßenswerten Aktionismus die Kunst nicht zu kurz kommt – eine Ausrede, die Festivalleiter Alberto Barbera auch gerne benutzt, wenn wieder mal der geringe Anteil von Filmemacherinnen im Wettbewerb in der Kritik steht –, ist da eine schwierige Gratwanderung.
Nan Goldin fungiert in Laura Poitras’ Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ als Kronzeugin für diese künstlerische Haltung. Die Fotos der in den 1980er Jahren im New Yorker Underground zu Ruhm gekommenen Goldin finden sich heute in Museen von Weltrang: Die ideale Voraussetzung, um den Betrieb von innen heraus anzugreifen. Der Name Sackler, eine Pharma-Dynastie, die mit dem Medikament Oxycontin – und damit der Opioid-Epidemie – viele Milliarden Dollar verdiente, wurde lange nur mit dem Mäzenatentum der Familie assoziiert.
Poitras, die für ihren Dokumentarfilm „Citizenfour“ über Edward Snowden 2015 den Oscar gewann und mit dem Recherche-Kollektiv Forensic Architecture selbst an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus arbeitet, nutzt Goldins Kampf gegen das Sackler-Geld in Museen als Ausgangspunkt für ein Porträt der Künstlerin, die ihre Fotos im Film einmal mit „Beweisen“ (von Menschen und Leben) vergleicht. Insofern ist auch „All the Beauty and the Bloodshed“ eine herausragende forensische Arbeit. Die Protestperformances im Foyer des „Met“ und in der Guggenheim-Spirale sind das Substrat aus den bewegenden Erinnerungen Goldins an die Eltern, ihre Schwester, die Suizid beging, und an ihre New Yorker Ersatzfamilie auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie, verewigt als ungeschönt-schutzlose Körper voller Hedonismus, die sie in ihren Fotos zur Kunst erhob.
Als Beispiel für Kino und Agitprop hingegen erweist sich schon nach wenigen Minuten das Actiondrama „Athena“ des französischen Regisseurs Romain Gavras – Sohn von Costa-Gavras und Anhänger eines Radical Chic. Innerhalb von Sekunden befindet sich die Kamera inmitten eines gewaltsamen Aufstands in der fiktiven Banlieue Athena, nach dem Tod eines arabischen Teenagers durch die Polizei. Der Soldat Abdel (Dali Benssalah) ist zerrissen zwischen seinem Pflichtgefühl und dem Schmerz um seinen getöteten Bruder. Gavras bettet diese sozialen und familiären Konflikte aber immer wieder in unübersichtliche Schlachten zwischen Polizei und Banlieue-Jugendlichen ein, die ihre Wohntürme wie im Western zu Beton-Forts ausbauen. Die Wut ist verständlich, bleibt aber nur Pose.
Und dann ist in Venedig, natürlich, wieder Hollywood-Veteran Paul Schrader, der für sein Lebenswerk geehrt wird und diesmal einen besonders seltsamen Film mitgebracht hat, um sich durch sein Lieblingsthema Schuld zu arbeiten. Joel Edgerton spielt in „Master Gardener“ einen Neonazi im Zeugenschutzprogramm, der in seiner neuen Existenz die herrschaftlichen Gärten von Sigourney Weaver pflegt. Schraders Figuren waren schon immer eher Typen als Charaktere, doch in seinem mittlerweile dritten Karriereherbst werden seine Obsessionen zunehmend gewagter. „Master Gardener“ enthält einige hübsche Lektionen in Botanik. Sowie die beruhigende Erkenntnis, dass Gärtnern selbst Nazis zu besseren Menschen macht – und mit einem grünen Daumen Vergebung tatsächlich möglich ist.