Von unfreiwilligen Erektionen und Schamhaar-Toupets
Ich hatte Sex im Mauerpark. Mit einer Schauspielerin. Wir redeten über Intimacy Coordinators im Film – dann diese Szene: Sie schaut mir in die Augen rein, berührt meinen Arm. „Robert, wenn wir eine Liebesszene haben“, ich bleib stehen, schaue in ihre dunklen Augen zurück, „Robert, dann verliebe ich mich wirklich in dich. Ich nehm das, was mir an dir gefällt, nehm die Energie zwischen uns und dann leb ich das.“
Wir stehen im Mauerpark, die Berliner Schauspielerin Stefanie Höner und ich. Wir wollten über Quarantäneregeln im Film reden. Nun erzählt sie, wie man echte Liebe spielt. „Robert, so wie wir uns jetzt angucken, so guckt man sich sonst ja nicht an“, wir gucken weiter, „man würde nie dieses Strahlen kriegen, dieses Offene. Eigentlich würde ich dich jetzt gern umarmen.“ Soll ich wirklich weitergehen?
Der Film „Barfuß bis zum Hals“ spielte in einem Nudistencamp. Stefanie Höner lacht: „Ich musste Nacktsein trainieren, mir ist ja als Westdeutsche schon die Sauna suspekt. Ich hab zu Hause nackt geputzt, war zum Test am FKK-Strand.“ Vor der Produktion ein Anruf: „Sag mal, bist du untenrum rasiert?“ Die Rolle der ostdeutschen Sabine sehe Schamhaare vor. „Die Maske könnte dir sonst ein Toupet geben.“ Für den Film brauchte es ein Hochzeitsfoto, was im Camp hängen sollte: sie nackt auf den Händen ihres Nudisten-Ehemanns.
Szenen der Nähe werden nur freitags gedreht
Erst am Set lernen sie sich kennen, ein Händeschütteln vorm Ausziehen. Und er sagt zu ihr: Ich möchte mich schon mal dafür entschuldigen, falls ich einen Ständer kriege. Und falls ich keinen Ständer kriege, möchte ich mich auch entschuldigen.
Sie lebt allein und straff: Yoga, Sport, Muskelaufbau, alles in Isolation. Jeden Tag 6500 Schritte durch den Mauerpark. Drinnen trifft sie nur geboosterte Freunde, geht nie ins Restaurant. Keine Männer. Vorm nächsten Dreh will sie nicht in Quarantäne festsitzen. Sie hat auch Angst vor Long Covid, dass ihre Seele dann schlapp macht. Die Berlinale fällt für sie aus: keine Empfänge, keine Umarmungen. „Das macht was mit Körper und Seele. Ich bin jemand, der gerne anfasst und gerne angefasst wird.“ Letztens war sie im Wald spazieren, Arm in Arm mit einem Freund. Endlich wieder jemandem in die Seele gucken.
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Was macht Corona mit denen, die von einem Moment auf den anderen Echtheit spielen, damit wir die Pandemie für Momente vergessen? Szenen der Nähe werden nur freitags gedreht, vorher gilt fünf Tage Quarantäne. Küssen: nur mit PCR-Test. Nähe zum Drehpartner: 1,5 Meter; am Set ein Zollstock. Stefanie Höner findet all das richtig und wichtig. Aber je weiter wir gehen im Mauerpark, desto mehr frage ich mich: Wie wenig Leben hält eine Branche aus, die das Leben spielt?
Stefanie Höner will jetzt Intimacy Coordinator werden, bei deutschen Filmen ist das noch selten. Sie wäre dann bei allen Intimszenen am Set, um darauf zu achten, dass sich die Beteiligten wohlfühlen, dass niemand im Spiel übergriffig wird. Alle Sexszenen werden vorher durchgesprochen.
„Ist das nicht verrückt?“, fragt sie mich. „Bei jedem Dialog wird geprobt: Wie genau inszenieren wir das? Nur beim Sex sagt der Regisseur: Ich lass euch mal kurz allein. Denkt euch was aus, und dann macht mal!“ 6500 Schritte. Vier offene Augen für einen kurzen langen Moment. Zum Abschied umarmen wir uns, die Schauspielerin und ich. Eine Sekunde, zwei, drei. Und Cut.