Klimakiller Iron Man

Wir Menschen sind Superhelden: Wir können uns mit rasendem Tempo von A nach B bewegen, durch die Luft fliegen, Stahl schmelzen und ganze Städte mit Strom und Wärme versorgen. Unsere Superkraft? Das Erfinden von Maschinen, die enorme Mengen fossiler Energie in kurzer Zeit freisetzen können. Doch wie jede Superkraft hat auch diese ihren Preis: Das Klima.

Eine weitere Seite aus „Welt ohne Ende. Vom Energiewunder zum Klimawandel“.Foto: Reprodukt

„Welt ohne Ende. Vom Energiewunder zum Klimawandel“ (aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, Handlettering von Michael Hau, Reprodukt, 196 S., 39 €), der neue Sachcomic von Christophe Blaine („Quai d’Orsay“, „Isaak der Pirat“), führt uns die Energie-Revolution, die die Menschheit in den vergangenen hundert Jahren vollführt hat, mit einer überraschenden Allegorie vor Augen: Iron Man.

Der amerikanische Marvel-Held (versehen mit einer typischen Blaine-Nase) repräsentiert unseren gewaltigen Hunger nach fossiler Energie und taucht immer wieder dann im Comic auf, wenn abstrakte Vorgänge unserer Industriegesellschaft versinnbildlicht werden soll.

„Welt ohne Ende“ ist ein gewaltiger und faktenreicher Ritt durch die Geschichte der Industrialisierung bis heute. Blaine gelingt es dabei bravourös, das komplexe Thema witzig zu illustrieren: Selbst kleinste und beiläufigste Zeichnungen sind hinreißend ausgeführt. Dies hebt „Welt ohne Ende“ visuell von manch anderem Sachcomic ab, bei denen die Bilder nur Mittel zum Zweck sind.

Zwei Jahre hat Blaine zusammen mit Jean-Marc Jancovici an dem Comic gearbeitet, der in Frankreich alle Bestsellerlisten gestürmt hat: Der renommierte Klimaexperte, der seit vielen Jahren zum Thema Dekarbonisierung forscht und aufklärt, ist ein häufiger Gast in französischen Talkshows und hat sich so einen Ruf als Klimaerklärer erworben, der schwierige Zusammenhänge alltagstauglich auf den Punkt bringen kann.

Atomenergie als Übergangslösung

Im Wesentlichen ist Jancovici den Inhalt von „Welt ohne Ende“ verantwortlich, währenddessen Blaine selbst im Comic als Dialogpartner aber auch als Zweifler auftritt.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.Foto: Reprodukt

Über weite Strecken dürften die Leser:innen ziemlich d’accord mit der Diagnose des Comics sein. Vor allem dem deutschen Publikum wird jedoch nicht gefallen, was Jancovici als Übergangslösung vorschlägt, um die Klimakatstrophe abzuwenden: Atomenergie.

Jancovici argumentiert vor allem mit der höheren Effizienz und Steuerbarkeit von Atomkraftwerken, auch die Endlagersuche sei ein lösbares Problem. Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima seien bei französischen AKWs ausgeschlossen, da diese sicherer konstruiert seien.

[In einer umstrittenen Entscheidung hat kürzlich das EU-Parlament Atomkraft als klimafreundlich eingestuft – mehr dazu hier.]

Und so erscheint nach Iron Man eine neue Figur im Comic: Jancovici als grün strahlender Atom-Prophet, der mit dieser Darstellung immerhin Selbstironie beweist. Jancovici bringt viele sachliche Argumente für die Atomkraft vor, über die man durchaus streiten kann. Befremdlich ist jedoch, wie er im Gegenzug immer wieder die Nachteile von Wind- und Sonnenenergie hervorhebt, so als seien diese Konkurrenten der Kernkraft.

So bleibt am Ende ein gewisser Beigeschmack, vermischt mit der eigenartigen Sorge, dass das Klima vielleicht von einem strahlenden Antihelden gerettet werden könnte.