Das „Romanische Café“ im Berliner Europa-Center: Im Wartesaal der Poesie
Unzählige Male in den letzten Jahrzehnten daran vorbeigerauscht, den „Mercedes“-Stern auf dem Dach gesehen, den „Saturn“ im Erdgeschoss, den Wasserklops davor. Nur eine vage Erinnerung aus Kindestagen kann das Innere des einst ja so modernen Europa-Centers mit seinen bunten Glaslampen rekonstruieren. Und jetzt steht man schon seit einer geschlagenen Stunde in einem ehemaligen Souvenirladen herum und betrachtet die Wandtafeln einer gerade eröffneten Pop-up-Ausstellung. Sie erinnern daran, wo man sich in den 1920er-Jahren ungefähr befunden hätte.
An der Stelle des Europa-Centers lag nämlich in einem im neoromantischen Stil erbauten Haus das „Romanische Café“. Es mauserte sich Ende des Ersten Weltkrieges zum Sammelpunkt von Literaten, Kritikern, Malern, Schauspielern, Politkern, nachdem das „Café des Westens“ seinen Glanz verloren hatte.
Der heute fast vergessene literarische Netzwerker Hermann Kesten nannte jedes Kaffeehaus, das er in „Dichter im Café“ verewigte, einen „Wartesaal der Poesie“. Das „Romanische Café“ im Besonderen bezeichnete der Schriftsteller Günter Birkenfeld (auch vergessen) als den „Wartesaal des Genius“. Ein polemisch, fast unsachlich argumentierender Autor der Neuen Sachlichkeit watschte es dagegen als den „Wartesaal der Talente“ ab, das Café sei „ein infernalisches Gewirr von Charakterköpfen und solchen, die es sein wollen“, schreibt Erich Kästner 1928.
Es existieren kaum Innenansichten
Auf gerade mal 130 Quadratmetern hat das Team um die Kulturwissenschaftlerin Katja Baumeister-Frenzel teils überraschendes Bildmaterial und Texte über das Café zusammengetragen. Auf einem kleinem Bildschirm sieht man eine 3-D-Simulation der ursprünglichen Räumlichkeiten.
Was insofern interessant ist, da eigenartigerweise nur wenige Fotografien aus dem Inneren existieren. Auch ein paar historische Zeitungen wie die „Literarische Welt“ aus Vor-Axel-Springer-Zeiten stecken im Ständer, man sieht Alltagsgegenstände wie Tintenfässer oder ein Glas, das dem auf einem Bild zum Verwechseln gleicht. Aus ihm löffelt eine Frau zwei Eier – das Stammessen des Künstlerprekariats.
Mascha Kaléko und Irmgard Keun
Man habe erst gar nicht krampfhaft versucht, extra viele Frauen in der Ausstellung abzubilden, sagt Baumeister-Frenzel, sie gehörten ja zum festen Inventar: Else Lasker-Schüler, die Journalistin Sylvia von Harden (für alle Ewigkeiten von Otto Dix dort porträtiert), Irmgard Keun, Mascha Kaléko, Ruth Landshoff und die vielen Unbekannten neben dieser qualmenden Männerriege aus Bertolt Brecht, Egon Erwin Kisch, Erich Maria Remarque, Max Liebermann, Billy Wilder und den üblichen Verdächtigen.
So flaniert man mehr als dass man läuft aus dieser Ausstellung und taucht später noch tiefer in diese unwiederbringliche Welt zurück. Am besten gelingt dies mit der Anthologie „Im Romanischen Café“ von Brigitte Landes, erhältlich als hübsches Exemplar der Insel-Bibliothek. Das Buch erweitert das soeben Gesehene, man möchte nun auch gern die Werke lesen, aus denen die Auszüge entnommen sind. Und man will etwa mehr über das tragische Schicksal des Schnorrers und Künstlers John Höxter erfahren, den man soeben noch mit Hut auf Ulrich Neujahrs Bild sah.
Müsste man das Phänomen dieses Ortes in einem Satz zusammenfassen, könnte man wohl nur den von Wolfgang Koeppen bemühen, weil sich dieser auf vier Druckseiten erstreckt. Ursprünglich trug dieser Satz von 1965 den Titel „Ein Kaffeehaus“, später „Das Romanische Café“. Mit dieser Wortgirlande beschreibt Koeppen ein Stück preußischer Geschichte.
Vom Bau der Gedächtniskirche bis hin zu deren Zerstörung 1943. Zehn Jahre zuvor wurde der Ort schon zerstört: „…die Gäste des Cafés zerstreuten sich in alle Welt oder wurden gefangen oder wurden getötet oder brachten sich um oder duckten sich und saßen noch im Café bei mäßiger Lektüre und schämten sich der geduldeten Presse und des großen Verrates…“.