Drunter und drüber – Journalist Yücel schmeißt als PEN-Präsident hin
Es dürfte lange her sein, dass eine Tagung des deutschen PEN-Zentrums so ein öffentliches Interesse hervorgerufen hat wie die, die an diesem Freitag und am Wochenende im thüringischen Gotha stattfindet.
In der Regel trägt auf diesen Tagungen der Vorstand Berichte vor, es geht um dessen Entlastung, um die Zuwahl neuer Mitglieder, es gibt ein paar Lesungen und Podien, und alle paar Jahre wird ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt – so wie im vergangenen Oktober der „Welt“-Journalist Deniz Yücel.
Das ist diesmal in Gotha nicht anders, nur ist der deutsche PEN in den letzten Monaten in schwere Turbulenzen geraten, im Grunde seit der Wahl von Yücel. Im Zentrum dieser Turbulenzen steht der neue Vorsitzende und dessen Führungsstil, und in Gotha wurde am Freitag nach einem von fast fünfzig Mitgliedern unterzeichneten Antrag darüber abgestimmt, ob Deniz Yücel und mit ihm das gesamte Präsidium abgesetzt wird oder im Amt verbleibt. . Die
Ja, und die Turbulenzen gingen in Gotha weiter: Um kurz nach 19 Uhr wurde von den PEN-Mitgliedern mit knapper Mehrheit entschieden, dass Yücel Präsident bleiben sollte, wie auch Generalsekretär Peuckmann eine Mehrheit erhielt (Schatzmeister Joachim Helfer dagegen nicht).
Eine halbe Stunde später trat Deniz Yücel zurück und gleich aus dem PEN aus, schreiend, wie es heißt, gekränkt, mit der “Bratwursthaftigkeit des PEN” wolle er nichts mehr zu tun haben. Die Versammlung wurde danach sofort beendet.
Man könnte nun natürlich sagen, dass hier eine beleidigte Bratwurst auf Bratwursthaftigkeit in einer Bratwurstbude trifft. Aber auch, dass Deniz Yücel sich in seiner latenten Unberechenbarkeit treu geblieben ist.
Auf Twitter nannte Yücel seine Gründe: die Wiederwahl des “in jeder Hinsicht indiskutablen Generalsekretärs” Heinrich Peuckmann, einer seiner Gegner. Die Abberufung Helfers, das “Gejohle” bei dessen Abwahl. Dass man ihn “gerade so als Galionsfigur zu dulden bereit war”. Die Einsicht, den deutschen PEN “nicht zu einer modernen NGO” machen zu können. Die “Spießer und Wichtigtuer Ü 70” beim PEN. Und dass es “wichtigeres” als den PEN gebe.
Wie hatte es ein Berliner Schriftsteller, der als PEN-Mitglied an der Tagung digital teilnimmt, geunkt: „Im besten Fall kann die Sitzung interessantes Diskurstheater werden.“ Jetzt ist es großes Theater, eine tolle Soap, mit einem offenen Ende für diesen Samstag und den Sonntag, da das Treffen zu Ende geht.
“Für das Wort und die Freiheit”
Doch noch einmal zurück zu den Anfängen dieser Eskalation: An die Öffentlichkeit geriet der Streit innerhalb des Vereins, nachdem Yücel sich Mitte März auf einem Podium in Köln während der lit.cologne für eine Flugverbotszone über der Ukraine und militärischen Beistand für das Land durch die Nato ausgesprochen hatte („Wäre ´ne gute Idee, oder?“).
Obwohl Yücel hier im Grunde nur dem auf der Website des PEN sofort ins Auge stechenden Slogan „Für das Wort und die Freiheit“ gefolgt ist, brachten seine Worte gleich vier ehemalige PEN-Präsidenten und seine Vorgängerin Regula Venske auf. Sie forderten den Rücktritt des Präsidenten, weil er ihrer Meinung nach mit diesen “öffentlichen militärstrategischen Äußerungen” gegen die Charta des internationalen PEN verstoßen habe, gegen das „Ideal einer in Frieden lebenden Menschheit“, wie es in der Charta heißt.
Doch twitterte Yücel als Antwort auf die Rücktrittsforderung unter anderem, dass es „in diesem Streit (auch/eigentlich) um ganz andere Dinge gehe“, und diese anderen Dinge wurden sofort öffentlich bekannt in Form von E-Mail-Korrespondenzen, die diverse Medien erhalten hatten. Demnach hat Yücel andere, ihm nicht genehme PEN-Mitglieder wahlweise als „Elefant im Raum“, „Flusspferde“ oder „Silberrücken“ bezeichnet (was im letzteren Fall fast lustig anmutet, ist er doch selbst auf dem Weg, ein solcher zu werden); ihm werden „Mobbing“ und „Verschlagenheit“ vorgeworfen, wie man einem „FAZ“-Artikel des PEN-Mitglieds und Yücel-Gegnerin Petra Reski entnehmen konnte. Und so soll er, wie der „Spiegel“ berichtete, gegen Reski und ein anderes ihm nicht gewogenes PEN–Mitglied wegen deren kritischer Äußerungen über ihn juristisch vorgegangen sein und mit Abmahnung gedroht haben.
Yücel ist kein diplomatischer Funktionsträger
Andererseits ist Yücel in den E-Mails auch sehr böse als „eine der vielen Marionetten der Springer-Presse“ angegangen worden, als jemand, der von einem „Mitleidseffekt für die in türkischer Haft erlittene Unbill ins Amt getragen wurde.“
Harte Bandagen also; aber auch viel Kleinklein, viel Vereinsmeierei, eine in jedem Fall gestörte Kommunikation, die mit dem Abgang Yücels jetzt ihren Höhepunkt erreicht hat.
Man fragt sich bei Anwürfen wie obigen, wie Yücel, der erst seit 2019 PEN-Mitglied ist, seinerzeit überhaupt mit überwältigender Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt werden konnte.
Tatsächlich könnte man ihn, der ein Jahr lang in türkischer Haft saß, als den authentischsten PEN-Präsidenten seit langem bezeichnen. Sicher dürfte der Mehrzahl der PEN-Mitglieder bewusst gewesen sein, dass sie mit Yücel keinen diplomatischen Funktionsträger, keine graue Eminenz, keinen sturen Bürokraten an ihre Spitze gewählt haben. Sondern einen Journalisten und Sachbuchautor, der eben kein Blatt vor den Mund nimmt, der pointiert und spitzzüngig ist (und dabei durchaus mal daneben greift oder so manchen gegen sich aufbringt), und der für das Mehr an Sichtbarkeit sorgt, das sich der PEN mit seiner Wahl insgeheim gewünscht hat.
Mag Yücel kein Poet, kein Essayist, kein Novelist sein, wie die PEN-Kürzel ausgeschrieben lauten, so ist sein Name, seine Vita doch einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff.
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Anders als zum Beispiel die von Regula Venske oder Johano Strasser, seine Vorgänger. Von denen könnte man spontan keinen Romantitel oder andere auffällige kulturelle Höchstleistungen nennen; anders auch als der von dem aktuellen Generalsekretär Heinrich Peuckmann, einem weiteren Gegenspieler Yücels. Peuckmann schreibt laut PEN–Website Romane, Erzählungen. Gedichte, Hörspiele und Essays und veröffentlichte zuletzt den Krimi „Nach Abpfiff Mord“ und den Ruhrpott-Familienroman „Saitenwechsel“.
Dem Ansehen des PENs sind die Turbulenzen nicht förderlich
Schon vor dem Tumult in Gotha war der PEN in eine paradoxe Situation geraten: Einerseits ist er lange nicht so sichtbar gewesen, hat seine eigentliche, selbst gestellte Aufgabe, nämlich verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu helfen (nicht zuletzt durch das „Writers in Exile“-Programm, das von der Bundesregierung finanziert wird), viel Resonanz und Aufmerksamkeit erfahren.
Anderseits dürfte das Ansehen des PEN durch diese öffentlich ausgetragenen Streitereien Schaden nehmen. Erst recht jetzt, da Yücel zwar knapp bestätigt wurde – es hatte auch viel Unterstützung für ihn gegeben – , er aber nun nach einer Amtszeit von nur einem halben Jahr die Brocken hingeschmissen hat.
Showdown, hatte man gedacht. Und nun? Gute Show. Vorhang zu, alle Fragen offen. Lässt Yücel sich am Samstag womöglich umstimmen? Wohl nicht nach seinem Twitter-Thread. Wie reagiert die Versammlung? Wird es weitere Rücktritte oder Austritte geben? Von einem Gothaer Friedensschluss ist der PEN Deutschland weit entfernt, vermutlich tut eine grundsätzliche Erneuerung not.
Als ob der PEN angesichts der angespannten Weltlage, den vielen Krisenherden auch jenseits der Ukraine und zahlreichen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Not nichts Besseres zu tun hätte, als sich so zu zerstreiten. Das wirft auch auf Deniz Yücel kein gutes Licht. Ja, nochmal: gute Show. Aber auch: ein Bild der Wirrnis und des Schreckens.