Die Einsamkeit des Tennishelden

Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Boris Becker hatte uns ein spektakuläres Jahrzehnt lang etwas zu sagen. All die Geschichten von ständigem Beginn, permanentem Scheitern, gelegentlicher Vollendung, die nur der Sport bietet, erzählte er uns. „Es war wie die Komprimierung des Lebens auf einen winzigen Moment auf dem Centre Court“, so sagte er es 2001. Denn Becker spielte nie einfach so und irgendwie; immer litt oder genoss er, ein lebensgieriger Mann, ein neugieriger auch, unsicher und bisweilen schüchtern zunächst und dann selbstsicher suchend.

Es war eine Erfahrung im Sinne einer Weltreise, in den Becker & Graf-Jahren als junger Tennisreporter in den Journalismus zu finden. Boris in München, in der Olympiahalle, im Juli 1989 im Daviscup gegen Agassi, fünf epische Sätze über zwei Tage … Boris auf dem Court Number Two von Wimbledon, wo alles so eng war, dass seine Aggressivität fühlbar wurde… Boris beim Interview auf Fisher Island vor Miami, wo wir Basketball spielten und Boris auf der Terrasse über dem Atlantik lange nachdachte, nicht um die eigenen Worte abzuschwächen wie andere Sportler, sondern um sie markanter werden zu lassen.

In München, 2001, sagte er uns: „Ich habe leider oft zu wenig Angst und riskiere gern. Ich war von Beruf Spieler… ich bin jeden Tag auf den Platz gegangen und habe für Hunderttausende Dollar gespielt. Das ist meine zweite Haut. Ich habe gewonnen und verloren. Ich hatte keinen Libero und keinen Torwart, sondern ich war immer allein. Das prägt, und das wird mich mein Leben lang prägen.“

Vom schüchternen Jungen zum Egozentriker

Kalt konnte er auch sein. Zum Egozentriker wurde er durch Ion Tiriac ausgebildet, und von seinem Umfeld forderte er bedingungslose Loyalität, Unterwerfung also, und doch Inspiration, bloß keine Langeweile, also Augenhöhe. Becker trennte sich schnell und merkte nicht, wie kritische Köpfe, die es gut mit ihm meinten, verschwanden.

Der „siebzehnjährigste Leimener“: Boris Becker bei seinem letzten Rriumph in Wimbledon 1999.Foto: Pat Rafter/Reuters

Es ist eine gefährliche Kombination, wenn einer seine alte Begabung, also die Begründung einer Ausnahmestellung, nicht mehr hat, aber das alte Selbstverständnis oder sogar eine nunmehr überzeichnete Version des alten Selbstverständnisses: die Überzeugung, außergewöhnlich zu sein in allen Bereichen des Lebens.

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Becker glaubte, nach der Tenniskarriere Weltmann und Unternehmer sein zu können, ohne für Letzteres irgendwelche Grundlagen gelernt zu haben. Und er hatte keine Neugier mehr und nichts zu verkaufen, keine Idee, bloß sich selbst. Damit hätte es dennoch einen Weg gegeben, innerhalb der Tenniswelt, als Trainer, Funktionär, Berater; es wäre der Kahn-Weg oder der Beckenbauer-Weg gewesen. Wer Novak Djokovic besser macht, wer mit kenntnisreicher Ironie für die BBC aus Wimbledon kommentiert, ist ja längst unterwegs, verdient weiterhin Geld, bloß weniger als früher.

Es genügte ihm nicht, viel zu statisch, wie gewöhnlich. Geduld hatte er nie, Stille mochte er nicht. Die eigene Marke, „siebzehnjährigster Leimener“, zerstörte Boris Becker dann selbst, durch öffentliche Rosenkriege und Steuerhinterziehung, durch Unzuverlässigkeit, Hybris. Ein leeres Gesicht zeigte er der Welt, und ich frage mich, ob darin vor allem Einsamkeit zu sehen ist; das Verschmitzte, Lustvolle der jungen Jahre jedenfalls ist erloschen.

Schwer zu glauben bleibt es dennoch: Boris Becker im Gefängnis, dort in London, wo er sich frei und verstanden fühlte wie nirgendwo sonst. Tragisch ist ein Absturz im Leben danach meistens, bei Gerhard Schröder, Maradona, Jan Ullrich. Traurig ist er auch, denn jene Jahre, 1985 und danach, waren ein Geschenk, eine Erzählung für uns, für ihn.