Galerie Heidi zeigt Werke von Joan Jonas
Auf der Teilnehmerliste des Gallery Weekends fällt ein Name sofort auf: Heidi. So nennt sich der vielversprechende Neuzugang, den die 32-jährige Galeristin Pauline Seguin im letzten Herbst eröffnet hat. Fragt man die Französin nach der Namensgebung, muss sie ein wenig lächeln. Natürlich knüpfe sie an das Kinderbuch von Johanna Spyri an, sagt Seguin.
„Als ich jung war, konnte ich damit aber überhaupt nichts anfangen“, erzählt sie. „Heute finde ich es interessant, dass die Geschichte einer Schweizer Autorin als Anime verfilmt überall auf der Welt berühmt ist. Heidi weckt eine Vielzahl von Assoziationen und steht gleichzeitig für nichts.“
Kunst zur Gegenwart
Raum für Interpretation lassen – das könnte auch das Motto ihres Galeriekonzepts sein. Seguin will ihrem Publikum nicht vorschreiben, wie es auf Kunst zu reagieren hat. Weder künstlerische Medien, noch Themen sollen ihr Repertoire beschränken. „Mein Ziel ist es, Künstler zu zeigen, die etwas über die Gegenwart zu sagen haben“, erklärt sie. Auch wenn Seguins Fokus bislang auf jungen Positionen wie zuletzt Benjamin Lallier lag, rücken auch immer mehr etablierte Namen in ihr Programm – darunter Joan Jonas, der sie zum Gallery Weekend eine Einzelausstellung widmet.
Bekannt wurde Jonas, die in diesem Jahr ihren 86. Geburtstag feiert, als Teil der New Yorker Kunstszene rund um Richard Serra. Doch anders als ihre männlichen Kollegen interessierte sich die studierte Bildhauerin nicht für schweres Material. Ende der Sechziger begann sie Situationen im Raum zu kreieren, ephemere Performance und Videokunst miteinander zu verbinden.
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Ihre Versuchsanordnungen erlauben ihr, Tanz, Malerei und Theater in einem Werk zu vereinen. Über die Jahre entwickelte sie so ihr eigenes Genre. Einladungen zur Documenta und Biennale folgten, das Haus der Kunst in München wird sie im Herbst mit einer Retrospektive ehren. Was ihr Werk gerade jetzt so gegenwärtig macht, glaubt Pauline Seguin zu wissen: „Jonas spricht Menschen an, weil sie universale Themen behandelt, die noch heute von großer Bedeutung sind – vom Feminismus über Mythen bis zum Klimawandel.“
„Body Drawings“ von Joan Jonas
Die Fragilität unserer Umwelt taucht als Motiv immer wieder in Jonas’ Arbeiten auf. So auch in „Draw on the wind“ (2018), einer Reihe von abstrakten Flugdrachen aus Papier und Bambus, die an der Galeriedecke sanft im Luftzug tanzen. Im Rahmen eines Mentorenprogramms begleitete Joan Jonas ihre Meisterschülerin, die Künstlerin Thao Nguyen Phan, durch Vietnam. Dort entdeckte Jonas die Drachen, die sie zu Hause bemalte und mit Buntpapier weiterentwickelte. Die Objekte verkörpern somit Jonas’ Praxis als solche, die auf Kollaboration setzt und Bruchstücke verschiedener Kulturen neu zusammenfügt.
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Eine Schlüsselrolle nehmen neben ihren Filmen ihre Zeichnungen ein: Zum einen sind da die „Body Drawings“, für die Jonas im Rahmen von Performances die Umrisse ihres eigenen Körpers nachzieht. Zum anderen bezaubernde Aquarelle von Bienen, die sich als abstrakte Rorschachformen auf dem Papier ausbreiten.
Die emotionale Verbindung zwischen Natur und Kultur, um die Jonas immerzu kreist, zeigt sich in ihnen besonders eindrücklich. Im Zusammenspiel der Werke entsteht bei Heidi ein kleines Biotop, das alle Kräfte, die Jonas’ Universum ausmachen, in sich vereint.
Von New York nach Berlin
Wenn man Pauline Seguins Ausführungen zur Ausstellung hört, ihr folgt, wie sie begeistert über ihre Vision spricht, merkt man sofort: Hier sitzt eine Frau mit Gespür für Zeitgeist, der die Arbeit ihrer Künstler:innen mehr bedeutet als ihr eigener Profit. Verkauft werden die Werke auf Kommission, denn Seguin vertritt Jonas nicht, sondern arbeitet projektbezogen mit ihr.
Gekreuzt haben sich Seguins und Jonas’ Wege erstmals in der Galerie von Gavin Brown in New York, wo die Französin sieben Jahre lang arbeitete. Seguins Faszination für die Kunstwelt begann aber schon früher. Ihre Eltern betreiben in Paris eine Galerie für Möbelkunst; sie gehörten zu den ersten, die international mit Stücken von Designgrößen wie Jean Prouvé handelten.
[Heidi, Kurfürstenstr. 145, bis 30.7., Öffnungszeiten zum Gallery Weekend, Fr 29. April 18-21 Uhr, Sa/So 30. April/ 1. Mai 11-19 Uhr, heidigallery.com]
Nach ihrem Kunstgeschichtsstudium zog Seguin nach Amerika, doch mit der Pandemie kam die Veränderung. Als Gavin Brown im Sommer 2020 seine Galerie schloss und als Partner in die Gladstone Gallery eintrat, musste sich auch Seguin umorientieren. Berlin kannte sie nur von ihren Reisen, aber die Stadt schien ihr der richtige Ort für einen Neuanfang.
Galerie im ehemaligen Möbelladen
Gelandet ist sie in einem Teil von Schöneberg, in dem Sexworker:innen das Straßenbild bestimmen. Doch auch hier hat sich in den letzten Monaten viel getan. Seguin teilt sich ihre Räume – einen ehemaligen Möbelladen mit bodentiefen Schaufenstern und industriellem Charme – mit CCA, einer neuen Institution für zeitgenössische Kunst. In den Neubau gegenüber sollen ebenfalls Galerien einziehen.
Als Seguin hier eröffnete, war die Umgebung noch im Umbruch begriffen. Umso wichtiger ist es ihr, den Geist der Gegend zu erhalten. Eine Galerie, die sich wie ein Fremdkörper vor dem Außen verschließt, entspricht ihr nicht. „In meinen Augen ist in dieser Nachbarschaft das Ur-Berlin noch spürbar“, sagt Seguin. „Die verschiedenen Schichten von Stadtgeschichte liegen in der alten und neuen Architektur, aber vor allem in den Menschen, die hier leben.“ Bei Heidi steht die Tür für alle offen.