Frau Ritter und das Quadrat: Die Sammlung der Schokoladenfabrik
Ein kantiges Missverständnis. Stets hieß es, die Schokoladenfabrik Ritter sammle ausschließlich quadratische Kunst. Das klingt ein bisschen eintönig – und entspricht auch nicht den Tatsachen. Seit 2005 steht im schwäbischen Waldenbuch das kubische Museum Ritter am Unternehmenssitz. Ein Teil der über tausend Werke umfassenden Sammlung ist hier untergebracht und damit seit fast zwei Jahrzehnten sichtbar, was das Quadrat alles kann.
Einen anderen Teil ihrer Erwerbungen hat Marli Hoppe-Ritter temporär nach Berlin gegeben. Man muss also gar nicht reisen, um einen Eindruck von der Vielfalt des gleichschenkeligen Rechtecks zu bekommen. Es genügt ein Besuch der Berliner Repräsentanz des Auktionshauses Ketterer. Die Bilder stehen allerdings nicht zum Verkauf: „Quadratisch, praktisch, Kunst“ soll einen Einblick in das private Sammeln geben. Und schon das erste prominent gehängte Beispiel ist kreisrund.
Formen prallen aufeinander
„Diagonal Passage“ (1947) von Leon Polk Smith ist ein konstruktives Gemälde. Es spielt mit Farbe und Geometrie, beides überlagert sich in dem Motiv. Als zentrales Element schält sich ein Quadrat heraus: Eigentlich sind es gleich mehrere, die Form wiederholt sich, immer kleiner werdend, abwechselnd in Schwarz und Weiß. Smith, der 1996 in Manhattan starb, vertrat die Hard-Edge-Malerei. Sanfte Übergänge wie im Impressionismus waren ihm fremd, in seinen Bildern prallen die abstrakten Objekte aufeinander. Das macht seine Quadrate visuell am Ende dominanter als das Kreisrund der Leinwand.
Sie steht jedoch für alles, worum es der ausgebildeten Juristin Marli Hoppe-Ritter geht. Ihre Sympathien für das Quadrat resultieren eindeutig aus der Familiengeschichte. Schon 1932 kam die Großmutter Clara Ritter auf die Idee, der Schokolade ihres Unternehmens eine besondere Form zu geben. Das wurde zum Markenzeichen des Unternehmens wie auch der späteren Kunstsammlung, deren Werke von Josef Albers, Victor Vasarely, Theo van Doesburg oder Vera Molnar stammen.
Die Schau entlarvt Sehgewohnheiten
Die Künstlerin, eine Pionierin der Computerkunst, verfährt in ihrem Bild „9 ronds, 3 couleurs“ von 1966 besonders raffiniert: Ihr Quadrat setzt sich aus neun pastellfarbenen Kreisen zusammen, die ebenso als neun voneinander unabhängige Motive gelesen werden können. Dann bleiben sie Kreise.
Eindrücklich erzählt die Ausstellung von unseren Sehgewohnheiten. Im Kreis der Quadrate wird alles ins Viereckige interpretiert. Wo Willi Baumeister 1927 eine „Abstraktion auf Hellgrau“ im kleinen Format realisiert, fallen erst einmal die Quadrate auf. Esther Stocker hat eine fotografische Serie realisiert, auf der ein Körper zum Bildträger diverser geometrischer Figuren wird – doch man sucht sofort nach Rechtecken.
Selbst bei Camille Graeser, in dessen Gemälde „Caput mortuum – grün 1:7“ aus den 1970er Jahren das fallende Quadrat bloß einen minimalen Raum beansprucht, fokussiert das Auge unmittelbar dorthin. Als habe mein eine Wette mit der Sammlerin, in den konstruktiv-konkreten, kubo-futuristischen oder auch kinetischen Arbeiten wirklich alle Hinweise auf ihre Passion zu finden.
Das Quadrat sei ein „Motiv mit unerwartetem Potenzial“, hat Marli Hoppe-Ritter einmal gesagt. Wer die gut 50 überwiegend musealen Werke bei Ketterer passiert hat, begreift, als wie wahr sich der Satz nicht bloß bei den Sorten von Schokolade erweist.