Zweifellos der größte Anarchist
Man könnte eine Erinnerung an Herbert Achternbusch problemlos nur mit Kalendersprüchen aus dem Mund des bajuwarischen Faktotums füllen. Eine seiner bekanntesten Weisheiten lautete: „Du hast keine Chance, aber nutze sie!“. Es sind die Schlussworte in seiner Komödie „Die Atlantikschwimmer“ von 1976, in der ein Briefträger und ein Bademeister für eine Ozeanüberquerung trainieren.
In den Siebzigern zierten Achternbusch-Sätze Aufkleber und Kaffeebecher in linken Studenten-WGs, gleich neben Postkarten mit Monty-Python-Motiven.
In Franz-Josef-Strauß-Land gab es für Achternbusch keine andere Referenz als die britische Komikertruppe. Loriot war für den gehobenen Witz zuständig, Otto für den groben Klamauk und Achternbusch… der war eine Art Hofbräuhaus-Konfuzius, ein bayrisches Original, das so prägnant wie seit Karl Valentin nicht mehr seine Landsleute (und die bayrische Seele) mit Aphorismen charakterisierte, die in keinen Glückskeks gepasst hätten.
In Bayern seien sechzig Prozent der Bevölkerung Anarchisten, hat er einmal gesagt, und die wählten alle die CSU.
Herbert Achternbusch, der, wie nun bekannt wurde, bereits Anfang der Woche im Alter von 83 Jahren in seiner Geburtsstadt München verstarb, war zweifellos der größte Anarchist. Ein Universalgenie nannten ihn seine Bewunderer, einen „Nestbeschmutzer“ seine Verächter.
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Diesen Titel hat er sich redlich verdient, nicht zuletzt mit seiner Religionsfarce „Das Gespenst“ aus dem Jahr 1982, in der eine Jesusfigur vom Kreuz einer Wallfahrtskirche herabsteigt und sich auf Wanderschaft begibt.
Im erzkatholischen Bayern war die Alpenreplik auf die britische Bibelpersiflage „Das Leben des Brian“ ein Sakrileg, sie rief auch den Axel Springer Verlag auf den Plan. Nach einer Schmierenkampagne („Verschwendung von Steuergeldern“) beschloss der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU), die ausbleibenden Fördergelder von 75.000 DM nicht auszuzahlen.
Bei der Verleihung des Bundesfilmpreises im Zoo-Palast protestierten 1983 Filmschaffende in Gespensterkostümen gegen das Vorgehen des Ministeriums.
Achternbusch war ein Mundarttäter
Achternbusch beherrschte die hohe Kunst der Invektive lange vor den modernen Shitstorms im Internet – was sicher auch daran lag, dass seine im tiefsten Herzen liebevollen Verbalinjurien auf Bayrisch immer noch eine Spur beleidigender und fieser klangen. Achternbusch war sozusagen ein Mundarttäter, der mit einem Humpen Weißbier erst richtig in Fahrt kam.
Nachzuprüfen in seinem Kultfilm „Bierkampf“ von 1977, in dem er als entfernter Vorläufer von „Borat“-Darsteller Sacha Baron Cohen in Polizeiuniform sternhagelvoll über das Oktoberfest wankt und die angeheizten Gäste so lange triezt, bis diese ihn gründlich in die Mangel nehmen. Zwischen Laientheater, Spiel- und Dokumentarfilm waren die Übergänge in Achternbuschs filmischem Werk meist fließend.
Seine Hassliebe zu seinen Landsleuten hat der 1938 als Herbert Schild in München geborene und in einem Dorf im Bayerischen Wald aufgewachsene Achternbusch ab Mitte der sechziger Jahre in über vierzig Büchern, später noch in 28 Filmen und über zwanzig Theaterstücken zum Ausdruck gebracht. Immer an der Grenze von Genie und Wahnsinn, frei nach dem Motto: „Wenn schon scheitern, dann g’scheit!“
Sein erster Erzählband erschien 1969 bei Suhrkamp, mit freundlicher Unterstützung von Martin Walser. Mit seinem Romandebüt „Die Alexanderschlacht“ macht er zwei Jahre später als Avantgardist der jungen deutschen Literatur auf sich aufmerksam. Achternbuschs wahre Leidenschaft allerdings galt der Malerei, er studierte zunächst an den Kunstakademien in Nürnberg und München. Nachdem er in den frühen Neunzigern Bayern endlich den Rücken gekehrt hatte, zog er auf einen Bauernhof in Österreich, dessen Fassade er in ein Gesamtkunstwerk verwandelte.
Gesamtkunstwerk ist ein Begriff, der auch auf Achternbusch zutraf. Mit dem Begriff Heimatfilmer konnte er dagegen wenig anfangen, dafür war sein Verhältnis zum Freistaat zu gespalten. (In „Der junge Mönch“ geht eine Atombombe über Bayern hoch.) Doch Achternbusch besaß trotz seiner schmalen Statur eine typisch bayrische Kernigkeit, in seinem Humor, seinem devianten Charme.
Vielleicht kann man dieses Werk erst wirklich würdigen im bayrischen Dream-Team mit Werner Herzog und seinem langjährigen Kumpel Josef Bierbichler, die 1976 mit dem dunklen Alpenmärchen „Herz aus Glas“ ein Achternbusch-Drehbuch verfilmten. Der Bierzelt-Anarchist blieb immer ein Grenzgänger. „Die Hölle kann auch produktiv sein, der Himmel ist nur langweilig“, hat er einmal gesagt. Mit Herbert Achternbusch ist im Himmel ab jetzt die Hölle los.