Wo die Beine in den Himmel wachsen

Allyson Felix, 400 Meter Mixed

Der Auftakt bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Eugene könnte nicht besser gewählt sein. Am heutigen Eröffnungstag steht das Finale in der Mixed-Staffel über 400 Meter auf dem Programm. Und dabei sein wird zum letzten Mal die große Frau der Leichtathletik, Allyson Felix. Die Bilanz der 36-Jährigen ist unglaublich. Sie holte sich bereits 13 Weltmeistertitel, mehr als jede andere Athletin bislang. Dazu gewann sie sieben Goldmedaillen bei Olympischen Spielen. Felix ist nicht nur die erfolgreichste, sondern sie gilt auch als die ästhetischste Leichtathletin der Geschichte. „Sie läuft einfach so wunderschön“, sagt die Berliner Sprinterin Lisa Marie Kwayie. Felix misst nur 1,68 Meter, aber ihre Schritte sind während ihrer Sprints so raumgreifend wie jene ihrer männlichen Kollegen.

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Die US-Amerikanerin ist eine streng gläubige Christin. Ihr Talent sei gottgegeben, sagt sie. Lange Jahre war wenig zu erfahren über die Ausnahmesprinterin, die das Rampenlicht mied. Doch vor vier Jahren machte sie öffentlich, dass ihr Sponsor Nike ihre Bezüge kürzen wollte, weil sie Mutter geworden war. Eine Welle der Empörung erfasste den Sportartikelriesen, und Felix bekam gleichsam großen Zuspruch. Nike lenkte eine, veränderte seine Richtlinien zum Mutterschutz. Felix aber verzichtete auf das Sponsoring, was ihre Sympathiewerte weiter stiegen ließen. Am Freitag dürfte eine weitere Medaille dazukommen.

Armand Duplantis, Stabhochsprung
Viele Jahre dachte man, dass der Stabhochsprung für immer mit dem ukrainischen Athleten Sergej Bubka assoziiert werden würde. Bubka war in den Achtziger- und Neunzigerjahren fast unschlagbar. Mit der Salamitaktik verbesserte er Wettbewerb für Wettbewerb seinen Weltrekord um einen Zentimeter und strich so etliche Prämien ein. Inzwischen aber ist Bubka abgelöst worden. Der neue Überspringer heißt Armand Duplantis. Dessen Weltrekord liegt in der Halle bei übersprungenen 6,20 Metern, im Freien bei 6,16 Metern.

Duplantis bekam das Talent und die Freude an der schwierigen Disziplin in die Wiege gelegt. Er wuchs in Lafayette auf, einer Stadt im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana. Schon als kleines Kind übte er mit einem Besenstiel im Wohnzimmer. Mit sieben Jahren sprang er erste Rekorde. Aber nicht nur Talent und Freude machten ihn zu einem großen Springer.

Wie bei vielen außergewöhnlichen Sportlern profitierte Duplantis von der Förderung durch seine Eltern. Sein Vater Greg war professioneller Stabhochspringer, seine Mutter Helena eine erfolgreiche Siebenkämpferin für Schweden. Wegen der Herkunft seiner Mutter startet Duplantis für Schweden. Die Förderung ging sogar so weit, dass Greg und Helena Duplantis für ihren Sohn eine Hochsprunganlage nahe dem Elternhaus errichten ließen.

Unter diesen Bedingungen wuchs schnell ein Gigant im Hochsprung heran. „Diese Leichtigkeit ist einfach nur beeindruckend“, sagt Stabhochsprung-Bundestrainerin Christine Adams. Ziemlich sicher wird „Mondo“, wie er genannt wird, auch am 24. Juli wieder über eine Höhe springen, von der alle anderen Wettkämpfer nur träumen.

Weitspringerin Malaika Mihambo ist stark durch Meditation.Foto: IMAGO/Sven Simon

Malaika Mihambo, Weitsprung
Für viele im Sport sind Dinge wie Meditation oder autogenes Training immer noch Quatsch. Malaika Mihambo beweist eindrücklich, welche Wirkung derlei Kopfarbeit im Wettkampf entfalten kann. Die 28-Jährige ist besonders in den kniffligen Situationen nicht nur die Ruhe in Person, sondern gerade dann zu Ausnahmeleistungen fähig. Allzu oft ist ihr bester Sprung der letzte im Wettkampf. „Durch das Meditieren kann ich Abstand zu meinen Gefühlen und Gedanken herstellen. Ich kann in einem Wettbewerb in eine Art Beobachterrolle gelangen und mich selbst analysieren, um die Dinge dann zu verändern“, sagt sie. Neben ihrer psychischen Stärke besticht sie durch ihren Anlauf. Keine andere Weitspringerin ist nur annähernd so schnell wie Mihambo, die hin und wieder auch über 100 oder 200 Meter antritt. In diesem Jahr hält die Olympiasiegerin von Tokio bislang die Bestmarke mit gesprungenen 7,09 Metern. Wenn die Weitsprung-Entscheidung, ebenfalls am letzten WM-Tag, in Eugene ansteht, kann es gut sein, dass die Deutsche sich das Beste für den Schluss aufbewahrt – und dann erneut Weltmeisterin wird.

Karsten Warholm, 400 Meter Hürden
Als Kind wollte Karsten Warholm wie so viele Fußballer werden. Der Norweger war auch ziemlich gut als Angreifer, vor allem war er wahnsinnig schnell. So schnell, dass ihm die Kontrolle über den Ball manchmal schwerfiel und er das Naheliegende machte: Er wechselte zur Leichtathletik. Inzwischen ist der 26-Jährige einer der aufregendsten Athleten. In Tokio verbesserte er seinen eigenen Weltrekord über 400 Meter Hürden um 76 Hundertstel auf 45,94 Sekunden. Das ist eine Zeit, die Biomechaniker bis vor Kurzen kaum für möglich hielten. Warholm sagt, er lege sich für seine Läufe keine Taktik zurecht und renne einfach nur drauflos. Das klingt nach einem simplen Erfolgsrezept. Doch im Hintergrund arbeitet die Trainer-Koryphäe Leif Olav Alnes seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Alnes ist ein kluger Kopf, ein Biomechaniker, der bereits für viele Athleten ausgeklügelte Trainingskonzepte entwickelt hat. Das Rennen in Eugene könnte für Warholm aber zu früh kommen. Er hatte zuletzt mit Verletzungen zu kämpfen. Favorit auf den Sieg am kommenden Mittwoch ist der Brasilianer Alison dos Santos.

Yulimar Rojas, Dreisprung
Es gibt Athletinnen mit langen und Athletinnen mit sehr langen Beinen. Und es gibt Yulimar Rojas. Sie sei neidisch auf Rojas’ lange Beine, sagte die deutsche Dreispringerin Kristin Gierisch der „Welt“. „Die sind endlos. Sie hören dort auf, wo mein Top anfängt. Genetisch ist sie von Gott geküsst worden.“ In der Sandgrube macht sich das in den Weltrekordweiten von 15,74 Metern (in der Halle) sowie 15,67 Metern (im Freien) bemerkbar. Trainiert wird die Venezolanerin von dem früheren Ausnahmespringer Ivan Pedroso. In ihrer Heimat ist Rojas eine Heldin – auch weil sie keine Scheu hatte, ihre Zugehörigkeit zur LGBT-Community öffentlich zu machen. In Eugene ist die Frau mit den endlosen Beinen die große Favoritin am Dienstag im Dreisprung. Gerne wäre sie auch im Weitsprung angetreten. Doch weil sie jüngst in einem Weitsprung-Wettkampf mit fünf Millimeter zu dicken Sohlen angetreten war (erlaubt sind im Weitsprung 20 Millimeter, im Dreisprung 25) wurde ihr der Start in dieser Disziplin verwehrt.

Erriyon Knighton (Mitte) ist mit 18 Jahren schneller, als es Usain Bolt in diesem Alter war.Foto: imago images/Xinhua

Erriyon Knighton, 200 Meter
Einen schnelleren Sprinter als Usain Bolt wird es so schnell nicht geben. Davon waren bis vor Kurzem die meisten Beobachter der Leichtathletik überzeugt. Inzwischen denkt aber fast niemand mehr so. Es gibt Erriyon Knighton, einen 18 Jahre alten US-Amerikaner, der jüngst die Teenager-Zeiten des großen Usain Bolt pulverisierte. Mit 19,49 Sekunden stellte er in diesem Frühjahr einen U20-Weltrekord über 200 Meter auf. Überhaupt waren bei den Senioren nur drei Athleten schneller als der junge Knighton. „Ist der Weltrekord in Gefahr?“, fragte Knighton bei Instagram. Die Antwort ist eindeutig: definitiv. Vielleicht noch nicht in diesem Jahr, aber womöglich im nächsten oder übernächsten. Beim 200-Meter-Finale am nächsten Freitag dürfte er sich mit seinem Landsmann Noah Lyles um den Sieg streiten. Zuletzt im Juli hatte Knighton noch das Nachsehen und musste sich anschließend kernige Kampfansagen von Lyles anhören. Knighton sinnt in jedem Fall auf eine Revanche.