Bei El Hadji Sy ist Kunst durch die Tür zu betreten
Auf der Biennale in Venedig war beim deutschen Pavillon viel die Rede davon, was eigentlich hätte zu sehen sein sollen – nämlich nichts, genauer: ein verschwundener Pavillon, der temporär transloziert worden wäre. Mehr ist auch jetzt nicht zu sehen als blanke Wände, von denen Putz abgeschlagen wurde, und ein Schacht im Boden, um auf bauzeitliche Spuren aufmerksam zu machen. Die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn musste ihren ursprünglichen Plan begraben und sich eine Alternative überlegen. Das verbindet sie mit Barbara Thumm, die allerdings anders als beim deutschen Pavillon ihrer ersten Idee für das Gallery Weekend nicht länger nachtrauern will.
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Schade ist es trotzdem, denn der senegalesische Künstler El Hadji Sy wollte genau während der Eröffnungstage der Biennale in ihrer Galerie ein metergroßes Bild malen. Gesundheitliche Gründe zwangen den 67-Jährigen, in Dakar zu bleiben. Es wäre wie in Venedig, wenn auch in anderer Dimension, ebenfalls der große Wurf gewesen. Stattdessen sind Werke zu sehen, die in Dakar während des Lockdowns entstanden. Das für die „Feature“-Sektion der Art Basel (16. bis 19. 6.) eingereichte Konzept mit El Haji Sy im Mittelpunkt wird nun teilweise bereits in Berlin realisiert.
Elsys Bilder hängen nicht nur an der Wand, sie stehen auch im Raum
Ein Eintauchen in den Kosmos des senegalesischen Künstlers ist trotzdem zu erleben – zwar kein sich Verlieren in einer gigantischen Leinwand, dafür ein regelrechtes Eintreten. Wer die Ausstellung „Silhouettes Critiques“ besucht, muss eine der drei bemalten Drehtüren passieren. Willkommen in der Welt von Elsy, wie der Maler genannt wird, wo Bilder nicht nur an Wänden hängen, sondern zu Türen oder Aufstellern werden, die den Besucher zu einer ganz eigenen Choreographie zwingen. Bei Elsy gibt es noch ein Hinten, Vorne und Daneben.
Das war eindrucksvoll bereits auf der letzten Documenta in Kassel zu sehen. Seine metergroßen Gemälde mit Landwirten, Fischern, Kühen bespielten locker die große Halle in der Karlsaue. Man musste sie umkreisen, auf Abstand gehen, um sie zu betrachten, und bekam immer noch die Ecke eines anderen Bildes zu sehen.
Der Künstler stellt lieber auf den Straßen Dakars aus
Die Werke gehörten zu den Entdeckungen der Documenta 14. Von Co-Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung hatte sich der Künstler, der sich im internationalen Ausstellungsbetrieb ansonsten rar macht und lieber auf den Straßen Dakars ausstellt, zuletzt doch einladen lassen. Bei der bahnbrechenden Pariser Ausstellung „Les magiciens de la terre“ 1989 im Centre Pompidou und drei Jahre später bei der Dakar-Biennale hatte er seine Teilnahme demonstrativ abgelehnt.
Dass es Barbara Thumm gelungen ist, diesen Ziehvater der senegalesischen Moderne zu seiner ersten Einzelausstellung in einer europäischen Galerie zu bewegen, führt sie darauf zurück, ihn besucht und sich Zeit genommen zu haben. Dem Gallery Weekend beschert sie damit ein Highlight. Es lohnt sich, in Zeiten des Hypes afrikanischer Figuration mit stets ein, zwei Figuren vor farbigem Hintergrund weiter zurück zu schauen. In Elsys Kunst mischen sich Gegenständlichkeit und abstrakte Formen, die auf muslimische Quellen zurückzuführen sind.
Als Senghor die „Négritude“ ausrief, scherte Elsy gleich aus
Der Maler gehört zu den wichtigen Figuren einer unabhängigen senegalesischen Kunst. Seinen Eigensinn bewies er schon in den 1970ern, als der Präsident Senghor die „Négritude“ als Antwort auf Europa ausrief, der sich Elsy verweigerte. Von der École Nationale des Beaux-Arts de Dakar – als Gegenstück zur École de Paris – wollte er nach seinem Abschluss 1977 nichts mehr wissen.
Statt mit dem Pinsel bearbeitete er die nächsten zehn Jahre seine Bilder mit den Füßen und trat damit regelrecht gegen den neuen Kanon. „Ich wollte das, was ich gelernt hatte, wieder verlernen“, so seine Erklärung, warum er nicht wie seine Freunde nach dem Studium nach Paris wechselte. „Ich ging einen anderen Weg und nahm die Pfade Afrikas.“
Jutesäcke, Metzgerpapier, Backbleche sind sein Malmaterial
Bei Thumm sind Bilder erneut in dieser frühen Technik zu sehen. Die Fußabdrücke auf dem Gemälde „C14 C29 C19“ repräsentieren für ihn die drei großen Katastrophen der vergangenen Jahre, die letzte ist Covid. Gemalt sind sie mit Acryl und Teer auf Blech, ein typisches Material für Elsy, der sich nimmt, was er als Unterlage kriegt: Jutesäcke, in denen Reis transportiert wurde, Metzgerpapier oder Backbleche, die er in seinem gerade bezogenen Atelier vorfand, einer ehemaligen Bäckerei.
Daraus sind für Berlin drei freistehende Bilder geworden, die auf Krähenfüßen stehen: lang und schlank wie jene Bleche, die tief in den Backofen gehen. Das eine zeigt den Finger eines Pianisten, das andere einen Akt, dessen Po sich in eine herausragende Ecke des Blechs fügt, das dritte ein Pferd.
Angela Davis taucht in einem Bild auf, erkennbar an ihrem Halo
Der Künstler arbeitet mit wiederkehrenden Motiven: Tiere, Schlaufen und Porträts, die selten eine konkrete Person darstellen. Eine Ausnahme ist das Bildnis von Angela Davis, die an ihrem Halo zu erkennen ist. Festlegen lässt sich Elsy nicht, spontan übernimmt er auch mal den Undercut des brasilianischen Profifußballers Neymar.
Offenheit prägte immer schon Elsys Schaffen. So setzte er sich früh für autonome Infrastrukturen ein: 1977 gründete er in einem ehemaligen Militärgebäude der Kolonialzeit auf einer Insel vor Dakar die Village Des Arts mit rund 70 Künstler:innen. 1983 wurde sie geräumt. Zusammen mit dem Filmemacher Djibril Diop Mambéty, dem Dramaturgen Youssoufa Dione und dem Philosophen Saas Samb rief er hier das Kollektiv Laboratoire Agit-Art ins Leben. Auf seine Initiative gehen außerdem das Kollektive Tenq oder die Huit Facettes zurück, die zur Documenta 11 eingeladen wurden. 1996 begründete er eine zweite Village des Arts in einem ehemaligen chinesischen Arbeiterlager, das vor einem Jahr schließen musste.
1988 bat ihn das Frankfurter Weltkulturen Museum um Mitarbeit
Elsys Beitrag für die aktuelle Entwicklung Kunst im Senegal ist enorm. Darauf wurde auch das Frankfurter Völkerkunde Museum (heute Weltkulturen Museum) aufmerksam und bat ihn 1988 für das Haus eine Sammlung aktueller Kunst anzulegen. Als Ergänzung entstand die erste Anthologie zeitgenössichen Schaffens im Senegal, ein Grundlagenwerk. Das Vorwort schrieb Senghor.
Ein Vierteljahrhundert später kehrte er auf Einladung der Leiterin Clémentine Deliss für eine Retrospektive ans Weltkulturen Museum zurück. Auch hier erwies sich Elsy als Vorreiter, indem er historische Objekte integrierte und damit einen wichtigen Anstoß für einen postkolonialen Umgang mit der eigenen Sammlung gab.
[Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68, 30.4. bis 30.7.]
Damals kombinierte er vier Hocker aus Papua-Neuguinea mit einem seiner großen Gemälde, das, das er auf den Boden legte. „Eine Wasserstelle“, erläuterte er – nur dass man sich an ihr nicht niederlassen dürfe.
Noch macht sich die Galeristin Hoffnung, dass der Künstler zum Ausstellungsende anreisen kann, um eine Performance aufzuführen. Sie würde perfekt zur laufenden Berlin Biennale passen, die sich „dekolonialen Strategien und Praktiken für die Gegenwart“ widmet. Von Elsy könnte man noch lernen.