Übermenschliche Fähigkeiten schützen nicht vor Tragödien

Die 16-jährige Kara führt ein normal wirkendes Teenager-Leben im US-Städtchen Midvale. Ihre einzigen Sorgen sind ein dicker Pickel im Gesicht am Tag des Jahrbuchfotos und die Frage, was sie nach dem Abschluss machen wird. Ihre eine Freundin Jen ist Sprint-Läuferin, ihre andere Freundin Dolly steht nach dem Coming Out gefestigt im Leben. Kara wäre es am liebsten, dass sich gar nichts ändern würde. Doch dann erschüttert ein Erdbeben Midvale.

Kara gibt sich die Schuld an dem großen Verlust, den sie und die Kleinstadt erleiden. Denn hinter der normalen Fassade des Teenagers steckt in Wahrheit eine Außerirdische vom Planeten Krypton mit übermenschlichen Fähigkeiten. Dass Kara in der Miniserie „Supergirl – Einfach super!?“ (Panini Ink, empfohlen ab 13 Jahren, 208 S., 16,99€) die Tragödie nicht verhindern konnte, setzt ihr zu – und macht sie menschlicher als die meisten Superheld*innen.

Die gefeierte Comic-Autorin Mariko Tamaki ist genau die richtige, um eine Supergirl-Story zu schreiben. In ihren Comics spielen Teenager an der Schwelle zum Erwachsenwerden die Hauptrolle, so auch in der mit ihrer Cousine Jillian Tamaki geschaffene, mehrfach ausgezeichneten Graphic Novel „Ein Sommer am See“.

Die Figur Supergirl bekam zuletzt durch eine Fernsehserie neue Aufmerksamkeit. Während Kara dort zwischen Szenen à la „Der Teufel trägt Prada“ und dem Vermöbeln von Schurken durchs Großstadtleben navigiert, stehen bei Tamaki Karas Emotionen im Mittelpunkt der Selbstfindung, weniger die Action und der Kampf gegen das Böse.

Der Kniff, dass Kara mit ihren Freundinnen auch beim Staffellauf ein Team bildet, fungiert als hervorragendes narrativ- visuelles Bild. Es zeigt auf, was mit einem Menschen passiert, wenn die Verbindung zu anderen Menschen verschwindet, die Teil der eigenen Identität ist.

Gegen die Zerstörung, für den Optimismus

Zeichnerin Joëlle Jones vermittelt in ihren Bildern eine unaufhaltsame Dynamik, zeigt aber nicht nur in expressiven, vielfältigen Action-Szenen ihr Können. Auch in den Momenten, in denen Kara antriebslos und depressiv ist, wirkt sie nicht statisch.

Amerikanischer Alltag: Eine Szene aus „Supergirl – Einfach super!?“.Foto: Panini

Die Intensität, mit der Tamaki sich Zeit nimmt, um Verlust, Trauer, Reue und Schmerz zu vermitteln und ihrer Protagonistin Raum gibt, das alles zu verarbeiten, lässt ihre Geschichte aus den zahlreichen jugendlichen Superheld*innen herausstechen. Sie zeigt, dass auch übermenschliche Fähigkeiten nicht vor Tragödien schützen.

Ein bisschen erinnert einen der Comic an die Geschichte Überlebenden des Amoklaufs 2018 in Parkland, USA. Die Kinder und Jugendlichen waren ebenso erschüttert wie wütend, spendeten sich gegenseitig Trost und gaben sich Rückhalt – und wollten nicht passiv bleiben. Sie schlugen den Weg des Anti-Waffen-Aktivismus ein.

Karas Anker, ihr größte Hilfe, ist die Freundinnenschaft. Und auch sie entscheidet sich am Ende für die Aktion, gegen die wütende Destruktivität und für den konstruktiven Optimismus.

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Das verbildlicht auch Joëlle Jones in ihren Zeichnungen, die zusammen mit den Kolorierungen von Jeremy Lawson eine ganz eigene Ästhetik entwickeln. Die Farben spielen mit Karas Gefühlswelt, sind dabei aber komplexer als eine simple Spiegelung. Die Blau-Palette für die tragischen, traurigen Momente zu verwenden wäre naheliegend, Lawson und Jones gehen einen anderen Weg.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.Foto: Panini

Blau ist hier die Farbe der Introspektion. Wenn Kara über sich und ihren Platz in der Welt nachdenkt, über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachdenkt, legt sich die Farbe wie ein trübender Schleier über das Bild. Im Kontrast stehen die Szenen, die in wärmerem Ocker-Orange gehalten sind: Gespräche mit den Freundinnen und der Familie. Momente, die Kara Halt geben.

Außerdem hat Supergirl natürlich auch einfach sehr coole Momente. Sei es, wenn sie lässig in Jeans und Kapuzenjacke mit einer Hand den Traktor ihres Vaters hochhebt und gleichzeitig mit der anderen Hand am Handy tippt. Oder wenn Kara ihrer Freundin sanft die Hand auf die Schulter legt und ihr gut zuspricht, weil diese nervös vor dem wichtigen Staffellauf ist.

Jede Entscheidung, jedes Handeln oder Nicht-Handeln hat Konsequenzen. Das Verstecken hinter einer bürgerlichen Fassade ist am Ende für Kara keine Option mehr. Ihre behütete, bisher stabile Welt hat sich drastisch verändert, und ebenso verändern sich Kara beziehungsweise ihre Identität. Mariko Tamaki und Joëlle Jones präsentieren mit „Supergirl – Einfach super!?“ eine Superheldin, die für einen aktiven, resilienten Optimismus steht.