Begeisterung für den Tanz
Das Georg-Kolbe-Museum hat eine Baustelle. Im Garten muss Grün weichen, um die alten Blickachsen wiederherzustellen. Der kleine Park um Kolbes Atelier war nicht als Wildwuchs geplant, sondern als Dialog von Plastik und Außenraum. Wer hier steht, glaubt an eine wundersame Vermehrung von Platz. Der Garten scheint sich auszudehnen, Kolbes Bronzen sind plötzlich viel sichtbarer. Man gewinnt Einsicht in das ästhetische Konzept einer nahen Vergangenheit.
Ähnliches verfolgt die Ausstellung „Der absolute Tanz“ im Innern des Hauses, deren Eröffnung kürzlich im Lockdown stattfand. Es geht um Tänzerinnen der Weimarer Republik, von denen auch Laien jenseits der künstlerischen Disziplin einige kennen.
Zu ihnen zählen Valeska Gert oder Anita Berber, deren exzessives Leben unendlich gern nacherzählt wird. Stets ist dann von Nacktheit und Zügellosigkeit die Rede, vom Tanz allerdings immer nur als – Tanz. Ohne, dass er als künstlerische Ausdrucksform im Detail gewürdigt wird. Exzesse, das klingt besser.
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Dabei war Anita Berber, die mit 29 Jahren an Schwindsucht starb, im klassischen Ballett ausgebildet und verband es in der Blütezeit des Expressionismus mit einer ebenso exzentrischen wie individuellen Choreografie ihres eigenen Körpers. Darin spiegelte sich – ähnlich wie in der Berliner Tanzschule von Vera Skoronel und Berthe Trümpy – auch ein neues Selbstbewusstsein, für das das Frauenwahlrecht der Weimarer Republik ebenso maßgeblich war wie die Auflösung der tradierten Geschlechterrollen.
Ernst Barlachs Plastiken als Vorbild
Julia Wallner und Brygida Ochaim, die Kuratorinnen der Schau mit viel dokumentarischem Material und zahlreichen Kunstwerken, interessiert an dieser Zeit vor allem die „fruchtbare Verbindung von Tanz und Skulptur“. Sie ist bereits am Eingang evident, wo einen Kolbes kleine Plastik einer Tänzerin neben einem Block von Studien zu den metaphysisch orientierten Bewegungen von Charlotte Bara empfängt.
Der Bildhauer ließ sich ebenso vom Ausdruckstanz inspirieren wie die Tänzerinnen von der bildenden Kunst. Tatjana Barbakoff, der die Ausstellung eines von elf faszinierenden Porträts widmet, nahm sich Ernst Barlachs Plastiken zum Vorbild.
Dieses Diffundieren der Tänzerinnen, die hoch empfänglich für die avantgardistischen Strömungen der 1920er-Jahre waren und sie in ihre teils klassischen, teils bei der Ikone Mary Wigman absolvierten Ausbildungen integrierten, garantierte ihnen Aufmerksamkeit. Barbarkoff etwa machte mit ihren Soloauftritten europaweit Karriere, bevor sie 1933 einen Auftritt nutzte, um in Paris zu bleiben und schließlich doch von den Nazis 1944 in Auschwitz ermordet wurde.
[Bis 29. August, Sensburger Allee 25, tgl. 10–18 Uhr, telefonische Anmldg.: 30 42 144]
Andere Tänzerinnen – oder Künstlerinnen, wie die Ausstellung sie ganz selbstverständlich nennt – lebten noch bis in die achtziger Jahre, ohne jemals wieder an ihre einstige Prominenz anknüpfen zu können. Dabei hatten sie in dieser kurzen, intensiven Phase „das Verhältnis von Raum, Zeit und Form revolutioniert“.
So steht es im Begleittext zur Ausstellung, die ihre Behauptung mit jedem Raum neu unterlegt. Man staunt über die Autonomie und Modernität jener Frauen, denen die zeitgenössische Künstlerin Ulla von Brandenburg mit einer Installation huldigt, die sich wiederum auf den Ausdruckstanz und seine Ursprünge in der Reformbewegung konzentriert.