„Das Feuilleton“: Gabriele Tergit 1948 im Tagesspiegel

Eine Freundin aus Berlin hat mich um einen Seifenlappen gebeten, glaubend, daß man in der Welt nach Hitler nur so eine Ladentür aufzumachen und zu sagen brauchte: „Fräulein, Seifenlappen.“

1933 habe ich an einem der schicken Orte dieser Welt einmal von irgend etwas das Vollkommenste kaufen wollen, das es gibt. Es waren zwei Seifenlappen, groß, wollig, mit violettem Rand, der eine mit einem köstlichen Rosenstrauß auf weißem Grunde, der andere mit Veilchen auf weißem Grunde: das Ideal, der Traum, die Idee des Seifenlappens für ein leicht kitschiges Gemüt. Beide sind im Laufe der Jahre zugrunde gegangen. Der eine flog ins Meer. Den anderen hatte ich zum Auskochen auf das Gas gestellt. Dann hatte ich Besuch bekommen, und als ich nach längerem Gespräch, ob 1/4, 1/3, 89/90 oder nur 88/90 der Deutschen Anhänger Hitlers, Antisemiten oder bloß Militaristen seien, ob Brüning oder Thälmann oder Hugenberg am meisten verantwortlich sei, an das Gas zurückkam, war der Lappen ein schwarzes Etwas, und der unersetzbare Topf hatte ein Loch.

Frauen finden sich mit allem ab. Kinder, aufgewachsen in dieser Zeit, die nichts mehr von Seifenlappen weiß, benutzen fünf oder auch zehn Finger, aber Männer? Als ich ausging, einen neuen Seifenlappen zu kaufen, stellte es sich heraus, daß die Seifenlappen zusammen mit dem Respekt vor dem Alter, dem Eigentum, dem Leben, der Ehe, dem guten Namen unseres Nächsten — Ideen, die fünftausend Jahre lang die Welt zusammengehalten hatten — Hitler zum Opfer gefallen waren.

Als Ich die Karte meiner Freundin bekam, dachte Ichs „SeifenlappenI Gott, den hat es doch auch mal gegeben. Hat man gar nicht mehr daran gedacht. Auch zugrunde gegangen.“