Taylor Mac und Matt Ray zeigen „Bark Millions“: Songs zu 55 Jahren queerer Geschichte
Für jedes Jahr seit der ersten Pride Parade im Jahr 1970 hat Matt Ray ein Lied geschrieben, das von einem queeren Protagonisten oder einer queeren Protagonistin aus Geschichte und Gegenwart inspiriert wurde. Eine emotionale Reise weit in die Untiefen der Unterdrückung und des Aufbegehrens, des Leidens und der Lebensfreude sowie in alle dazwischenliegenden menschlichen Emotionen.
Das Resultat ist eine vierstündige Meditation über Queerness in Form einer Rockoper. Ausgangspunkt war die Erkenntnis von Theatermacher Taylor Mac, dass es eindeutig zu wenige Popsongs über queere Menschen gibt: „Unsere Geschichten sind in diesem Genre deutlich unterrepräsentiert, also dachten wir uns, es könnte Spaß machen, dem neue Facetten hinzuzufügen. So wollen wir unser Publikum hypnotisieren und noch queerer machen, auch wenn es schon ziemlich queer ist.“
In dieser Show gibt es keine durchgehende Geschichte eines historischen Verlaufs oder heldenhaften Verhaltens im Dienst der guten Sache. Stattdessen singt, spielt und tanzt ein kunterbuntes Ensemble in der farbenfrohen Ausstattung von Machine Dazzle über die Bühne und erzählt assoziativ, amüsant oder anrührend von Menschenleben, die in irgendeiner Weise erhellend sind für einen queeren Blick auf die Welt.
Die zwanzig Darsteller*innen bilden so etwas wie eine künstlerische Familie, ergänzt Matt Ray, der die Songs komponiert hat und auch die musikalische Leitung der Aufführung übernimmt: „Wir lernen immer wieder neue Menschen kennen und erweitern den Kreis. Die meisten kennen sich untereinander von früheren Arbeiten. Es ist schwer zu beschreiben, was genau uns verbindet, außer dass alle Mitwirkenden vollkommen authentisch und immer sie selbst sind.“
Ein solches Bühnenkollektiv besteht aus starken Persönlichkeiten, die alle recht genaue Vorstellungen von ihrem eigenen Auftritt haben und dem das Regiekollektiv Vorschläge macht, erzählt Taylor Mac: „Neben mir und meinem Co-Regisseur Niegel Smith wirkt auch die Choreografin Fay Driscoll mit, Matt Ray hat ebenfalls Vorstellungen, wie seine Musik am besten zur Geltung kommt.
Wir machen dann Angebote, die von den Menschen auf der Bühne diskutiert, angenommen oder verändert werden. Die vier Stunden der Aufführung haben wir während der Proben in kleine Abschnitte aufgeteilt und das Ergebnis fühlt sich nicht lang an. Der Abend hat eine gute Partylänge und entwickelt sich weiter während der Aufführungsserie.“
Dieses Konzert mit gemeinschaftsbildendem Potenzial ist auch ein Angebot an das Publikum der „Performing Arts Season“ bei den Berliner Festspielen. Die Mitwirkenden bewegen sich in Richtung Publikum, das Publikum kann dem Bühnenpersonal ebenso entgegenkommen.
Dabei geht es nicht immer fröhlich und gelassen zu, schließlich war ein Großteil der 55 Jahre seit der ersten Pride Parade von der grauenhaften Aids-Krise geprägt, kam es immer wieder zu queerfeindlichen Überfällen mit Todesopfern, wurden und werden von der Mehrheit abweichende Lebensformen noch immer diskriminiert. Das alles blenden die Macher nicht aus: „Es ist viel mehr als ein fröhliches Absingen lustiger Lieder“, betont der musikalische Leiter Matt Ray, „manche der Personen, um die es in den Texten geht, kannte ich auch nicht, als ich mit der Komposition begann.
Da sind auch einige unsympathische Figuren dabei und es gibt sehr traurige Geschichten wie die von der Ermordung des italienischen Jugendlichen Giovanni di Giovanni. Das alles gehört zum queeren Leben dazu, deshalb ist es auch Teil unserer Show.“