Umstrittener Auftritt in Berlin: Roger Waters und das Schwein des Anstoßes
Als das Schwein des Anstoßes über den Köpfen schwebt, sind noch nicht alle im Publikum wieder an ihren Plätzen. Gerade hat Roger Waters ihnen und sich am Mittwochabend, beim ersten von zwei Berlin-Konzerten, eine Pause gegönnt, da lässt der Pink-Floyd-Mitbegründer das gewaltige Aufblas-Tier zum Song „In The Flesh“ von der Leine. Natürlich will man sehen: Ist auf dem Schwein wieder der Davidstern aufgedruckt?
Aber nein, eigenem Bekunden nach nutzt Waters das Zeichen des Judentums, das bei früheren Auftritten am Hals des Tieres prangte, seit zehn Jahren nicht mehr. Diesmal muss man im Schummerlicht der Mercedes-Benz-Arena genau hinschauen, um stattdessen die Namen einiger Rüstungskonzerne zu erkennen. Darunter auch den des israelischen Unternehmens Elbit Systems. Das Schwein steht in der Show für das Böse in der Welt, da darf Israel nach Waters’ Überzeugung nicht fehlen.
Es ist schon viel über die Weltsicht von Roger Waters berichtet worden. So unterstellt er Israel, in Palästina einen Völkermord zu begehen. Er zieht Parallelen zwischen dem jüdischen Staat und Nazi-Deutschland und unterstützt die hierzulande scharf kritisierte BDS-Kampagne („boycott, divestment and sanctions“), die zum allumfassenden Boykott Israels aufruft. In Interviews bemüht der Musiker schon mal das antisemitische Narrativ einer „mächtigen jüdischen Lobby“ und verbreitet im Hinblick auf den Ukraine-Krieg die Erklärungsmuster des Kreml.
Die Bühne sieht aus wie ein Kruzifix
Aus diesen Gründen ging die Stadt Frankfurt juristisch gegen Waters’ dortigen Auftritt vor. Doch das Verwaltungsgericht gab einem Eilantrag des Musikers recht. Der baut diesen Erfolg prompt in seine Berliner Show ein. Kurz bevor es losgeht, raunt seine sonore Stimme vom Tonband, dass ein Gericht entschieden habe, dass er kein Antisemit sei – was nicht stimmt. Es hat lediglich festgestellt, dass sein Auftritt die Gräueltaten der Nazis nicht verherrliche oder dass er sich nicht mit deren Rassenideologie identifiziere. Die Tausende in der gut besuchten Halle bejubeln Waters’ Worte.
Während in München im Umfeld seines Konzerts am kommenden Sonntag israelische und ukrainische Flaggen gehisst werden sollen, sind in Berlin rund um die Arena keine derartigen Zeichen der Solidarität zu entdecken. Stattdessen lässt eine kleine Gruppe von BDS-Sympathisant:innen Banner und palästinensische Fahnen im böigen Wind wehen.
Manch einen im Publikum hört man vor dem Start noch sagen, er sei nur wegen der Musik hier, Waters’ politische Ansichten interessierten ihn nicht. Nun, der Fan wird während des Konzerts seine liebe Mühe haben, sich nur auf die Musik zu konzentrieren. Waters ist nämlich ein Mann der großen Show und Geste. Schon zu Pink-Floyd-Zeiten hat sich der Bassist die Konzepte hinter Erfolgsalben wie „Dark Side Of The Moon“ und „The Wall“ ausgedacht. Einfach nur die Songs sprechen lassen ist auch heute seine Sache nicht.
Stattdessen hat der inzwischen 79-Jährige eine kruzifixförmige Bühne ersonnen, die von allen Seiten einsehbar ist. Über ihr schwebt ein ebenso geformter Videoklotz. Der beballert das Publikum knappe zweieinhalb Stunden mit Nachrichtenbildern, Animationsfilmen und politischen Slogans. Der große Agitator holt zum Rundumschlag aus: Er fordert Menschenrechte für alle, die Abschaffung der Atombomben, er verdammt den Kapitalismus, Faschismus, Militarismus, das Patriarchat.
Eingangs seines Solostücks „The Bar“ redet er sich vielsagend in Rage: Waters erklärt die Konzerthalle zum „sicheren Ort“, an dem man offen reden könne. Ohne dass einen jemand „ins Gefängnis sperrt“, weil die eigene Meinung von den „orthodoxen Überzeugungen“ abweiche, wie sie beispielsweise die Regierung vertrete. Wieder Jubel. Auch wenn ihn niemand hinter Gitter bringen wollte und er sehr wohl die Bühne für seine Ansichten bekommen hat: Waters gefällt sich in der Opferpose. Er zelebriert sie, hält seine Hände während des Songs „Wish You Were Here“ wie in Handschellen gekettet in die Höhe.
Waters kennt seine stimmlichen Grenzen
Drei Viertel der Stücke, die er spielt, stammen von Pink Floyd. Tatsächlich hat er die meisten von ihnen geschrieben. Gesungen wurden sie damals jedoch zum großen Teil vom Gitarristen David Gilmour, mit dem sich Waters nach seinem Ausstieg aus der Gruppe 1984 heillos verkracht hat.
Die neunköpfige Band, die er nun auf seine „This Is Not a Drill“-Tour mitgenommen hat, interpretiert die alten Stücke wunderbar. Der tiefengesättigte Sound umgibt einen, ja, er durchdringt einen förmlich. Dennoch fühlt man sich zuweilen wie bei einem Auftritt einer (ausgezeichneten) Coverband. Daran hat gerade der Gesang des Mannes Anteil, der schon damals mit dabei war. Waters ist sich seiner stimmlichen Grenzen bewusst. Im letzten Block des Konzerts lässt er die Gesangspartien zu den Hits „Money“ und „Us And Them“ gleich ganz vom Gitarristen Jonathan Wilson übernehmen.
Doch wenn sich an diesem Abend kein wohlig-nostalgisches Glühen einstellen will, liegt das in erster Linie nicht an Waters’ Stimme. Man wird das Gefühl nicht los, dass er die für viele heiligen Songs vorrangig als Mittel einsetzt, um seine populistische Agenda zu transportieren. Den eigentlich zeitlosen Stücken wird dabei jedes bisschen an Deutungsraum ausgesaugt. Alles schön griffig – nur die Magie, sie ist entwichen.