Tanztheater im Garten Eden: Anatomische Fiktionen im Sprühnebel
Wer den Garten des Dock 11 Eden in Pankow betritt, fühlt sich wie in einer Oase. Das Dock 11, die angesagte Tanzlocation in Prenzlauer Berg, hat hier 2009 fünf schöne Studios eingerichtet. Die Tanzgruppen, die an diesem Ort proben, können durch die bodentiefen Fenster aufs Grün schauen, Aufführungen finden aber nun selten statt. Die Regisseurin und Raumkünstlerin Penelope Wehrli hat nun zu der performativen Installation „Anatomorphosen“ nach Pankow eingeladen.
In den 1990ern entwarf die Schweizer Künstlerin die Bühnenbilder für Hans Kresniks Choreografisches Theater an der Volksbühne. Seither entwickelt sie hybride Arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen. „Anatomorphosen“ wird als synästhetisches Experiment in Raum, Bewegung und Klang angekündigt. Der Titel setzt sich aus den Begriffen Anatomie und Metamorphose zusammen, Ausgangspunkt sind Spekulationen über biologisch andersartige Wesen. Penelope Wehrli selbst hat die fiktionalen Texte über diese imaginären Menschenarten geschrieben: den Homo Sapiens Tripedis, den Homo Sapiens Medusa und den Homo Sapiens Sepia.
Die Zuschauer sitzen auf dem Boden und umringen die beiden Spielflächen. Das Sounddesign von Sam Auinger hat das Publikum schon eingestimmt auf diesen Abend, an dem es um eine erweiterte Wahrnehmung gehen soll. Die Geräusche aus der Umgebung werden fein gefiltert, sodass ein Raumklang entsteht, der sich mal auszudehnen scheint, mal als leises Dröhnen wahrgenommen wird.
Die beiden Tänzerinnen Julek Kreuzer und Mariana Romagnani in durchsichtigen grauen Kostümen kippen aus der vertikalen Achse, schieben einen Fuß vor und verharren. Dabei strecken sie auf merkwürdige Weise den Po raus. Mit schlurfenden Schritten durchqueren sie dann die Spielfläche. Erst nachträglich ist eine Erläuterung über den Homo sapiens Tripedis zu hören – ein Wesen, das sich durch einen schwanzartigen Fortsatz auszeichnet.
Als „fedrig-elastisches, spitz zulaufendes Glied“ wird dieser Fortsatz bezeichnet, auf dem man auch sitzen kann. Sagenhafte Eigenschaften werden ihm zugeschrieben: Er verleiht dem Körper einen inneren Halt und eine größere Resilienz. Dass diese anatomischen Fiktionen den Tanz speisen oder befruchten, bleibt aber Behauptung. Die Tänzerinnen können nun mal nicht aus ihrer Haut heraus und sich in eine Schimäre verwandeln. Und sich auszumalen, sie hätten einen Schwanz, der wie ein dritter Fuß fungiert, übersteigt offenbart ihre Vorstellungskraft.
Was die Choreografin Lina Gómez gemeinsam mit ihren Tänzerinnen an Bewegungssequenzen ersonnen hat, ist ziemlich monoton. Gómez arbeitet hauptsächlich mit Verschiebungen im Raum und im Körper, erlegt den Tänzerinnen aber strikte Beschränkungen auf. Die eingestreuten Gesten wirken zufällig.
Die blinkenden Gebilde im Haar und auf der Schulter sind Sensoren, die ihre Bewegungen registrieren. Die Daten werden auf Apparate im Garten übertragen, wo sie sich als Sprühnebel materialisieren. Viel technischer Aufwand für ein flüchtiges Phänomen. Das Wasserspiel fügt dem Geschehen keine subtilen Nuancen hinzu, immerhin ist es aus gärtnerischer Sicht von Nutzen.
Über den Homo Sapiens Medusa heißt es dann, dass er über eine tiefere Atmung und einen größeren Brustkorb verfüge. Luftiger wirkt der Tanz aber nicht. Von der „gefühlten Schwerelosigkeit“ ist nichts zu sehen. In der dritten Sequenz scheint es, als ob die Performerinnen von widerstreitenden Impulsen zerrissen werden. Sie bewegen sich ohne erkennbare Richtung und Intention. Kurios ist auch, was über den Homo Sapiens Sepia berichtet wird.
Durch Bakterien, die sich auf der zweiten Schicht der Epidermis ansiedeln, entstehen Farbspiele, die auch synchronisiert werden können. Die versponnenen Texte versprühen sich nicht in tänzerische Energien und atmosphärische Schwingungen. Die „Anatomorphosen“ sind vermutlich vom posthumanistischen Denken beeinflusst, bleiben aber im Diffusen stecken.