Pepe schickt ihn
Es waren nur noch Sekunden bis zum Abpfiff des Spiels gegen Rasenballsport Leipzig, als Diogo Leite etwas übermütig wurde. Der Innenverteidiger des 1. FC Union ging ins Dribbling, spielte auf Höhe der Mittellinie einen Fehlpass und ermöglichte dem Gegner einen letzten Angriff. Es blieb beim 2:1 für die Berliner, doch auch Leite durfte sich angesprochen fühlen, als sein Trainer Urs Fischer sagte, einen so knappen Vorsprung müsse man cleverer verwalten.
Dies war ein kleiner Makel einer ansonsten erneut beeindruckend reifen Leistung. Leite, der in diesem Sommer erst mitten in der Vorbereitung und mit deutlichem Trainingsrückstand zu Union gekommen war, stand in allen drei Bundesligaspielen in der Startelf und ist bereits erstaunlich gut integriert. „Ich arbeite jeden Tag, um so schnell wie möglich zu lernen, wie es hier funktioniert“, sagt Leite bei einer Medienrunde.
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Auf den ersten Blick ist es überraschend, wie schnell der 23 Jahre junge Portugiese sich in die meist perfekt orchestrierten Abläufe in der Berliner Defensive eingefunden hat. Doch schaut man ein paar Jahre in die Vergangenheit, ist es eher überraschend, dass ein Mann wie Leite überhaupt bei Union spielt. Als die Berliner in der Saison 2018/19 letztlich erfolgreich um den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga kämpften, debütierte Leite in der Champions League für den FC Porto.
Zwei Jahre zuvor hatte er mit der portugiesischen U 17 die Europameisterschaft gewonnen und dabei im Finale einen Elfmeter verwandelt. Mit der U 21 verpasste er den EM-Titel im vergangenen Jahr als Stammspieler nur knapp und unterlag im Finale dem deutschen Team mit seinen jetzigen Mitspielern Paul Jaeckel und Lennart Grill. Eine Station bei Union stand noch vor Kurzem sicherlich nicht auf dem Karriereplan von Leite, der fast durchgängig beim großen FC Porto spielte, seit er neun Jahre alt war.
Ein typischer Oliver-Ruhnert-Transfer
Seine Verpflichtung ist ein typischer Union-Transfer. In den vergangenen Jahren haben Manager Oliver Ruhnert und sein Team regelmäßig für wenig Geld exzellente Spieler gefunden, die ihr Potenzial in der jüngeren Vergangenheit nicht voll abgerufen hatten (Max Kruse, Taiwo Awoniyi) oder bei ihren Vereinen nicht ausreichend geschätzt wurden (Robin Knoche, Rani Khedira). Bei Leite ist das Risiko für Union minimal. Nach der Hodenkrebsdiagnose bei Timo Baumgartl mit anfangs sehr ungewisser Ausfallzeit haben die Berliner für eine Leihgebühr von etwa 500 000 Euro einen hochveranlagten Ersatz gekommen. Im kommenden Sommer besitzt Union eine Kaufoption in Höhe von 7,5 Millionen Euro, wie portugiesische Medien berichten.
Über seine Zukunft will Leite am Dienstag aber nicht sprechen. Sein Fokus gelte einzig und alleine der Gegenwart und in der sei er keineswegs überrascht über den herausragenden Saisonstart mit sieben Punkten aus drei Spielen. „Ich wusste von Beginn an, dass wir ein gutes Team mit einem guten Spirit haben“, sagt er auf Englisch. Ein paar Deutschstunden hat Leite in den gut fünf Wochen seit seinem Wechsel bereits absolviert, das Vokabular ist aber vor allem fußballspezifisch: „Spielen und gehen“, „andere Seite“ – der Small Talk muss erst mal warten.
Dennoch fühlt sich Leite auf seiner ersten Station außerhalb von Portugal bereits sehr wohl. Weiter weg als nach Braga, 50 Kilometer von Porto gelegen und sein fußballerisches Zuhause in der vergangenen Saison, hatte es ihn zuvor nicht gezogen. Berlin gefalle ihm aber sehr gut. „Das erste Mal im Ausland ist auch eine gute Herausforderung, um zu wachsen“, sagt Leite.
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Mit dem Fußball begonnen hat Diogo Felipe Monteiro Pinto Leite, so sein ganzer Name, beim kleinen Vorstadtverein Leixoes SC. Damals spielte er noch als Flügelstürmer. „Ich war der beste Torschütze“, sagt Leite, ist den Verantwortlichen beim FC Porto aber nicht wirklich böse, dass sie ihn nach seinem Wechsel in die Jugendabteilung des vierfachen Europapokalsiegers auf dem Feld immer weiter nach hinten verschoben haben. „Das war die beste Entscheidung“, sagt er.
Als Innenverteidiger entwickelte er sich schnell zu den größten Talenten des Landes und war fester Bestandteil der Jugendnationalmannschaften. Bei Porto kam er schon früh zu Einsätzen im Profiteam und wurde von Altmeister Pepe, den er auch als sein Vorbild nennt, unter die Fittiche genommen. „Ich war sehr jung und habe sehr viel von ihm gelernt“, sagt Leite. In Deutschland haftet Pepe das Image des brutalen Treters an, doch das werde ihm nicht gerecht. „Ein Innenverteidiger muss auch aggressiv sein“, sagt Leite. Pepe habe eine gute Aggressivität und habe ihm sehr viel beigebracht über die Kunst des Verteidigens. „Er weiß, wann er abwarten und wann er angreifen muss und abseits des Platzes ist er eine ganz nette Person.“
Vom mittlerweile 39 Jahre alten Pepe stammt auch das wohl größte Lob für Leite, dem er bisher aber noch nicht gerecht geworden ist. In einem Interview sagte Pepe 2019 über seinen Mitspieler: „Leite ist für mich der beste Innenverteidiger Portugals.“ Diese Worte hätten ihn damals sehr motiviert, sagt Leite. „Ich weiß, dass ich gerade nicht auf meinem Höhepunkt bin, aber ich bin jung und kann mich noch verbessern.“