Mit welchen Tricks Richard Ringer Europameister wurde
Die Sonne knallte auf den Odeonsplatz, wo der lange Schlussspurt in der Ludwigstraße endete. Dort nach 2:10:21Stunden angekommen, zeigte Richard Ringer mit einem Finger fragend auf sich. Hatte er, der 33-Jährige, dem auf der Marathonstrecke bislang keine großen Erfolge gelungen sind und den hier, bei den European Championships in München, keiner auf der Rechnung hatte, wirklich diesen Lauf über 42,195 Kilometer gewonnen? Einer aus dem Zielbereich nickte mit dem Kopf. Ringer fiel auf den heißen Asphalt, sein Brustkorb hüpfte auf und ab. Trotz der Anstrengung lachte Ringer vor Glück.
Die deutschen Leichtathleten sind mit einem blamablem WM-Ergebnis (zwei gewonnene Medaillen) aus den USA nach München zu den Europameisterschaften gekommen. Schon nach dem Auftakttag scheint der Verdruss weg zu sein. Neben Ringers Goldmedaille gab es auch Silber für die neu eingeführte Teamwertung. Der favorisierte Amanal Petros lief auf Rang vier (2:10:31), Johannes Motschmann wurde 16. (2:14:52).
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Schon kurz zuvor war es sehr laut geworden in der Münchner Innenstadt. Auch die deutschen Marathon-Läuferinnen trotzten der Hitze und absolvierten einen starken Wettbewerb. Beim Sieg der Polin Aleksandra Lisowska (2:28:36) verpasste Miriam Dattke (2:28:52) nur um einen Wimpernschlag im Spurt gegen die Niederländerin Nienke Brinkman eine Medaille. Da Domenika Mayer (2:29:21) und Deborah Schöneborn (2:30:35) als Sechste respektive Zehnte ins Ziel kamen, sprang in der Mannschaftswertung Gold für Deutschlands Frauen heraus.
„Wir wollten eine Medaille, das Team stand in vorderster Front und da haben wir uns mental darauf vorbereitet. Das jetzt Gold im Einzel rauskommt ist natürlich wahnsinnig“, sagte Ringer. Ihm habe sein Teamkollege Petros geholfen. „Bei Kilometer 25 war ich mal ein bisschen weg. Da hat er gesagt ’Junge, bleib dran’.”
Die Ansetzung des Marathons um die frühe Mittagszeit war im Vorfeld von den Läuferinnen und Läufern kritisiert worden. Auch Richard Ringer hatte seinen Unmut geäußert. Für gewöhnlich starten die großen Marathons im Sommer meist früher, um der Hitze zu entgehen. Doch die Veranstalter hatten mit der späten Ansetzung wohl vor allem die Zuschauer an der Strecke sowie vor den Fernsehern im Blick und weniger die Gesundheit der Teilnehmenden.
Ringer profitierte von der Hitze
Am Ende zahlte sich der Lauf auf dem glühenden Asphalt paradoxerweise besonders für Ringer aus. Der Läufer vom LC Rehlingen hatte sich in den USA auf die EM vorbereitet. Er habe sich dort an solche Temperaturen gewöhnt, sagte er. Auch von seinen Betreuern war Ringer perfekt auf das Rennen eingestellt worden. So rannte er dort, wo sich die Gelegenheit bot, im Schatten. Zudem bunkerte er zeitweise Eis unter seiner Kappe, das aufgetaute Wasser verfing sich im Nackenschutz und kühlte.
Für Ringer ist der Erfolg vom Montag die Belohnung für sehr viel harte Arbeit. Bis vor wenigen Jahren war er noch einer der besten 5.000- und 10.000-Meter-Läufer in Europa. Doch im Alter von 30 Jahren versuchte er sich mehr und mehr auf längeren Strecken. Solch ein Übergang vom Bahn- zum Straßenlauf ist nichts Ungewöhnliches. Bei Marathonläufern gilt der Spruch: Je älter der Athlet, umso länger die Distanz. „Das Straßenlaufen geht nicht so tief in die Muskeln, das spüre ich nicht so stark in den Waden wie das Bahnlaufen – das ist intensiver, aber kürzer“, beschrieb Ringer vor ein paar Jahren einmal den Unterschied im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Nun profitierte Ringer offensichtlich von seiner Karriere auf der Bahnstrecke. Sein Schlussspurt in der Münchner Ludwigstraße gegen den Israeli Maru Teferi war spektakulär und dürfte einer der Höhepunkte dieser Europameisterschaften werden, aus deutscher Sicht, versteht sich. Wenn es überhaupt etwas an Ringers Glanztat zu mäkeln gibt, dann ist das der Umstand, dass wegen der Weltmeisterschaften vor wenigen Wochen in den USA viele gute europäische Athleten zu den Wettkämpfen in die bayrische Landeshauptstadt gar nicht erst angereist sind. Aber dafür kann Richard Ringer nichts.