Maria Lassnig-Biopic „Mit einem Tiger schlafen“: Meine Bilder müssen strahlen
Wie entsteht Kreativität? Jener schöpferische Götterfunken, der dazu führt, dass eine Frau malt, was sie malt.
Der Mühe, diesen rätselhaften Vorgang in Bilder zu kleiden, entziehen sich Biopics über Künstlerinnen und Künstler gerne, indem sie sich in biografischen Details, in Schaffens- und Lebenskrisen verlieren. Oder indem sie den Maler zum Egomanen stilisieren, der in seinem Atelier in einem romantischen Wirrwarr aus Farbtuben, Pinseln und Staffeleien lebt und wie im Rausch Genialisches auf die Leinwand wirft.
Genauso funktioniert „Mit einem Tiger schlafen“ nicht. Die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz, deren unkonventionelles Porträt der Malerin Maria Lassnig im diesjährigen Berlinale-Forum zu sehen war, geht die Sache anders an. Tastender, introspektiver, körperlicher, auch fantastischer. Zumindest in der magischen Szene, als die Malerin, die im männerdominierten Kunstbetrieb vergeblich um Aufmerksamkeit ringt, unerwartete Hilfe beim Gemäldetransport bekommt.
Nach einer turbulenten Ausstellungseröffnung der Wiener „Hundsgruppe“ von aller Welt verlassen, auch vom zehn Jahre jüngeren Freund und Künstlerpartner Arnulf Rainer (Oskar Haag), hat Lassnig Mühe, ihre Bilder nachts nach Hause zu schaffen. Dass die reduzierten Schwarzweiß-Malereien namens „Stumme Formen“ den Kunststil Informell in Österreich mitbegründen, kratzt zu der Zeit niemanden. Bis auf die Ameisen.
Unter ihnen hat sich offenbar herumgesprochen, dass Maria Lassnig schon in ihren Mädchentagen in Kärnten kein Insekt zerquetscht hat, sondern im Gegenteil Ameisen und Spinnen als Gefährten betrachtet, die es aus Badewannen zu retten gilt.
Also kommen die Ameisen angetrippelt und tragen das schwankende Gemälde neben der beladenen Künstlerin her. Es ist das schönste Bild des Künstlerinnendramas, das – quasi in dokumentarischen Einschüben – immer wieder Lassnig-Gemälde zeigt. Darunter auch das titelgebende „Mit einem Tiger schlafen“ von 1975.
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Heute ist Maria Lassnig – geboren 1919 und gestorben 2014 – nicht nur eine weltbekannte Künstlerin, sondern auch eine feministische Ikone. Doch der Ruhm der ersten Professorin für Malerei im deutschsprachigen Raum kam spät, wie „Mit einem Tiger schlafen“ rudimentär erzählt.
Erst 1980, als Lassnig nach vielem Zögern die Professur an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien annimmt, kann sie endlich von ihrer Arbeit leben. In New York, wo sie zuvor jahrelang wohnte, jobbt sie in einem Trickfilmstudio, um Geld zu verdienen. Es ist der Beginn von Lassnigs Zweitkarriere als Medienkünstlerin.
Gefilmte Körperbewusstseinsmalerei
Die schauspielerische Herkulesarbeit der Darstellung liegt auf den blassen Schultern von Birgit Minichmayr. In der Eingangssequenz beobachtet die Kamera, wie sie sie hochzieht, wieder runterfallen lässt und dem Gefühl nachspürt. Eine Beobachtungsposition, die die Kamera fortlaufend einnimmt, wenn Lassnig im Atelier ihre Empfindungen, Nerven und Sehnen erkundet.
Lassnigs Eigenwahrnehmung ist die Grundlage ihrer „Körperbewusstseinsmalerei“. Bekleidet nur mit Unterwäsche, konfrontiert mit sich selbst und dem weißen Blatt Papier, sitzt sie und starrt, steht und starrt, rollt umher und pinselt.
Birgit Minichmayr hat sich in Lassnigs Tagebücher und Gemälde vertieft, um zu spielen, wie aus dem Körper heraus Malerei entsteht, in der Wahrnehmung des Atems, der Verletzungen, der Muskeln.
Es gelingt ihr großartig, auch wenn sie Maria Lassnigs kauzige Persönlichkeitsanteile als grantelnde Alte in verschliffenem Österreichisch etwas überbetont. Tatsächlich war die in atemberaubender Konsequenz der Kunst ergebene Frau eine Exzentrikerin, die sowohl kühl und halsstarrig wie herzlich und verschmitzt auftreten konnte.
Egal ob mit sechs, 19, 64 oder 94 Jahren – Minichmayr verkörpert alle Altersstufen und zwar ohne jede Maske. Allein durch Stimme und Spiel ist sie mal die kleine Maria, ein uneheliches, vernachlässigtes Kind, das bei der Großmutter aufwächst, und mal die gebeugte Greisin, die in herauforderndem Ton ihren Galeristen anpfeift, weil er die Gemälde in der Ausstellung falsch hängen und ausleuchten ließ. „Meine Bilder müssen strahlen!“, schimpft die selbstbewusste Malerin, die als Bedingung für die Übernahme einer Professur stellt, dass sie dasselbe Gehalt beziehen will wie Joseph Beuys.
Das nonlineare Durcheinanderwürfeln der Lebensalter ist erzählerisch genauso eine Zumutung wie das Betrachten des stillen, spröden Prozesses, der sich künstlerische Arbeit nennt. Gerade deswegen kommt einem Maria Lassnig in der Interpretation von Birgit Minichmayr, die Biopics grundsätzlich für eine Anmaßung hält, auf eine distanzierte Weise nah.
Man meint zu ahnen, welche unbeirrbare Gestaltungskraft in diesem immer hinfälliger werdenden Körper steckt. „Ich kann das Leben nicht ertragen, ohne zu Malen“, resümiert Maria Lassnig einmal. Gut möglich, dass Ameisen ihr Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof bewachen.