„In voller Blüte“ im Kino: Michael Caines würdiger Abschied vom Kino
Das Alter aus der Froschperspektive: die zögernden Füße gesetzt wie ein fortwährend erneuerter Misstrauensantrag gegen den Erdboden. Und dazu dieses dritte Bein, das neue. Sein entschlossener Knall macht wünschenswert klar, wer hier das Kommando hat: der Stock. Nein, wirklich optimistisch stimmt es nicht, wie Bernard Jordan hier das Pflegeheim betritt.
Und dann ruft auch noch eine fragende Stimme aus dem Zimmer, ob er es sei, und teilt ihm mit, dass er keinesfalls hereinkommen dürfe. Nicht, bevor sie fertig sei. Fertig frisiert, fertig geschminkt, fertig eben. Es sei schon einmal passiert, dass er zu früh kam, vor – nun sagen wir – vierzig Jahren. Und das möchte sie nicht noch einmal erleben.
Einmal noch vor der Kamera
So beginnt der letzte Film des alten Kino-Paars Michael Caine und Glenda Jackson. Die wunderbare Glenda Jackson ist im Juni dieses Jahres gestorben. Geboren 1936, kam sie mit achtzig Jahren auf den Gedanken, sie könne doch noch einmal mit der Schauspielerei anfangen, nachdem sie ihr zweites Leben im britischen Unterhaus verbracht hatte und unter Tony Blair Junior-Transport-Ministerin war.
Michael Caine hat nun mit 90 Jahren erklärt: Der hier war nun wirklich der letzte Film! Und auch „In voller Blüte“ – der Erfinder dieses peinlichen, dummen, unpassenden deutschen Verleih-Titels von „The Great Escaper“ mag über Maß seiner Schuld selbst befinden –, auch diesen Film also hatte Caine schon abgelehnt, als er wieder an die Begegnung der Hauptfigur mit den früheren deutschen Soldaten im Drehbuch denken musste. Und er korrigierte sich: Ich spiele den Jordan doch!
Zu Fuß zum D-Day-Jahrestag
Den Mann gab es wirklich. Sein Name ging im Sommer 2014 nicht nur durch die britische Presse. Der fast 90-jährige Bernard Jordan hatte eigenmächtig sein Pflegeheim an der englischen Südküste verlassen, um an der französischen Nordküste gemeinsam mit den Staatsoberhäuptern Barack Obama, Queen Elizabeth und Kriegsveteranen des 70. Jahrestags der Landung der Alliierten in der Bretagne zu gedenken.
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Das Pflegeheim hatte ihm keinen Platz mehr auf der Liste der Royal British Legion reservieren können. Der D-Day-Veteran sah darin kein Argument gegen den Antritt der Reise. Natürlich, er wusste nicht einmal, wo er bleiben würde über Nacht. Aber wusste er das etwa vor 70 Jahren? Über oder unter der Erde? Die britische Polizei gab eine Suchmeldung heraus.
Erfolgreiche Schauspieler altern vor der Kamera. Das ist, wie das Altern selbst, durchaus eine Demütigung. Michael Caine gehört zu denen, die diese Disziplin besonders souverän beherrschen, und er hat auch nicht erst gestern damit angefangen: Unvergessen seine Auftrittsverweigerung als Dirigent im Ruhestand in Paolo Sorrentinos „Ewige Jugend“; und seine schonungslos-skurrilen Dialoge mit Harvey Keitel über die Nöte ziemlich alter weißer Männer. Caine scheint im Alter eher noch Nuancen zu gewinnen, anstatt sie zu verlieren. Wozu Worte machen, wenn auch ein halber Augenaufschlag reicht?
Die Traumata verlassen einen nie
„The Great Escaper“ ist nicht zuletzt ein Film der Gesten und der Blicke. Das vor allem macht ihn sehenswert. Und sein Taktgefühl. Er betont kein Motiv zu sehr, so dass der Zuschauer nicht selten das schöne Gefühl hat, er bemerke Dinge, die er ebenso gut hätte übersehen können. Keine Werbeabteilung könnte sich das leisten. Nur gutes Kino.
Trotzdem ist es schwer zu sagen, ob Oliver Parker einen wirklich guten Film gedreht hat. Manchmal glaubt man, die Handlung trägt nicht über die volle Länge, zumal nichts wirklich Unvorhersehbares geschieht. Aber ist das Vorhersehbare nicht mitunter umso bedenkenswerter?
Die Alten vergessen zwar vieles, aber die eigenen Traumata fast nie. Im Gegenteil, sie holen die, die nunmehr fast ohne Zukunft sind, wieder ein. Und das Unerledigte im Leben lässt sich kaum mehr verschieben. Bernard trägt das Bild eines jungen Panzersoldaten in sich, das nie verblasst ist. Und er hat noch etwas von ihm, das will er zurückgeben.
Rückblenden haben es schwer. Man könnte einen Preis für gelungene Rückblenden stiften: solche, die es mühelos schaffen, sich neben der Haupthandlung zu behaupten. Diesen Preis würde „The Great Escaper“ kaum gewinnen, und doch sind sie hier essenziell. Es ist auch gut zu wissen, was der Film so explizit nicht sagen kann: Bernard Jordan war damals 19 und Elektriker.
An Bord eines Landungsschiffes war er für die elektrische Öffnung der Türen am Bug zuständig. Die Panzersoldaten, die durch diese Türen fuhren, waren zumeist kaum 20 Jahre alt und vollkommen unerfahren. Der 19-jährige Elektriker ist also in relativer Sicherheit, als er einem jungen verzweifelten Panzersoldaten hilft, die Fassung wiederzugewinnen. Die Fassung vor dem fast sicheren Tod.
Der wirkliche Bernard Jordan hat das Hotelzimmer mit einem früheren RAF-Terroristen geteilt, das ist hier anders. Aber die zufällige Begegnung mit den deutschen Veteranen, die für Caine den Ausschlag gab, diesen Film zu machen, ist tatsächlich großartig: in all ihrer Not des Sagens und des Fühlens. Und dann bekommen diese Deutschen einen ziemlich illegitimen Platz auf der Ehrentribüne gleich hinter der Queen. Die Regie ist weise genug, das nicht auch noch zu zeigen.
Und Glenda Jackson? Sie ist fast wie immer, auch als Ganztagspflegefall im Heim: von einem fast verwegenen Selbstbewusstsein und dem alten Lachen. Niemand konnte so süffisant lachen wie sie, auf eine fast noch wohlwollende Weise. Das Lachen ist vielleicht etwas milder geworden, füllt aber noch immer das ganze Gesicht. Denn eigentlich ist „The Great Escaper“ ein Liebesfilm.