Holbein und Co. im Frankfurter Städel: Als die Kunst zur Botschaft wurde
Lange muss man dieses Gemälde betrachten, um all seine Facetten zu ergründen. Hans Holbein d. J. malte die „Solothurner Madonna“ 1522. Das Bild zeigt die Mutter Gottes mit dem Jesusknaben auf dem Schoß, in einer Gewölbenische sitzend.
Rechts steht der Heilige Ursus, in eine Ritterrüstung gezwängt, links der Heilige Martin im bischöflichen Ornat. Dieser reicht einem vor ihm hockenden Bettler, von dem man nur die Hälfte des Gesichts erkennt, ein Almosen. Jede Falte im Mantel von Maria zeichnet sich ab, detailreich sind die Stickereien in der Bischofsmütze, der Gottesmutter malte Holbein ein Grübchen ans Kinn.
Dass es dieses Gemälde noch gibt und es jetzt im Frankfurter Städel Museum gezeigt werden kann, ist ein Glück. Erst 1864 wurde das verschollen geglaubte Werk in der Allerheiligenkapelle in Grenchen im Schweizer Kanton Solothurn wieder entdeckt. Aber in welchem Zustand!
Der Schriftsteller Jakob Amiet notierte in seiner Monografie über das Kunstwerk: „Es war ganz von aufgespritzten Kalkflecken bedeckt und trug überall die Spur schmählichster Verwahrlosung.“ Würmer hatten das Holz, auf dem die Farben aufgetragen waren, durchlöchert, einen Rahmen gab es nicht mehr.
In akribischer, langwieriger Arbeit konnten Restauratoren das Kunstwerk retten. Nun ist es, neben der „Madonna des Bürgermeisters Meyer“, auch Darmstädter Madonna genannt, das Glanzstück in der Frankfurter Ausstellung.
Holbein d. J., dessen Talent in der Augsburger Werkstatt seines Vaters gefördert wurde, machte die Renaissancemalerei europaweit bekannt. Er führte weiter, was unter anderen Hans Holbein d. Ä. und sein Zeitgenosse Hans Burgkmair Jahrzehnte zuvor auf den Weg gebracht hatten.
Ohne Augsburg hätte das kaum gelingen können. In der freien Reichs- und Handelsstadt hatten die Maler um 1500 ideale Bedingungen. „Sie war eines der führenden Kunstzentren nördlich der Alpen“, sagt Kurator Jochen Sander.
Den eigenen Status zeigen
Es war die Wirtschaftskraft der Fugger, Welser und weiterer einflussreicher Familien, die den Höhenflug der Künste in Augsburg ermöglichte. Die reichen Kaufmannsgeschlechter strebten nach gesellschaftlichem Status und wollten ihn zeigen.
Kunst wurde zur Botschaft. Wer es sich leisten konnte, wünschte ein Porträt von sich. Beispielhaft ist das „Bildnis eines Angehörigen der Augsburger Familie Weiss“, 1522 von Hans Holbein d. Ä. angefertigt, oder auch das „Bildnis eines jungen Mannes“ im Gelehrtengewand, von Hans Burgkmair d. Ä. (1506).
Dank großzügig bezahlter Aufträge konnten sich die Maler ausprobieren und Neues wagen. Sie wurden nicht gegängelt, sondern gefördert. Inspiriert von der italienischen Renaissancekunst, wandten sie sich auch der niederländischen Malerei zu. Beide Richtungen wurden gleichsam miteinander verwoben und zu etwas Eigenständigem entwickelt: der Renaissance des Nordens.
Was die Kunst auszeichnet und warum sie im Vergleich zu dem, was in Italien und Flandern entstand, beeindruckend bestehen konnte, zeigt die Ausstellung im Städel Museum.
Überblick über die stilistischen Besonderheiten
130 Werke sind zu betrachten, darunter solche von Donatello, Andrea Solario, Jan van Eyck oder Hugo van der Goes. Insgesamt gelingt ein Überblick über die verschiedenen stilistischen Besonderheiten der Renaissancemalerei.
Bisweilen wurde Holbein als „Raffael des Nordens“ apostrophiert. War er das? Angesichts der „Madonna des Bürgermeisters Meyer“ zweifelte Sigmund Freud daran, auch wenn er 1883 in der Dresdner Gemäldegalerie nur eine frühe Kopie des Holbein‘schen Werkes sehen konnte.
Freud bekrittelte die „gewöhnlichen hässlichen Menschengesichter“ und ereiferte sich: „Die Madonna selbst ist nicht gerade schön, die Augen sind vorquellend, die Nase lang und dünn … Nun wußte ich, daß auch eine Raphaelsche Madonna da sei und fand sie endlich … Ein Schönheitszauber geht von dem Bild aus, den man sich nicht entziehen kann …“
Der Vergleich zwischen beiden Werken kann in der Frankfurter Ausstellung nicht gelingen, denn Raffaels „Sixtinische Madonna“ ist bis heute in Dresden zu betrachten. Doch auch so wird klar, dass Freuds harsche Worte ungerecht waren. Was Holbein und seine Zeitgenossen hervorbrachten, hat alle Würdigungen verdient.