Das Belcea Quartet im Berliner Kammermusiksaal: Schönheit und Schmerz

Schönheit entsteht aus dem Schmerz. Wenn Corina Belcea ihrer Geige süße Klagegesänge entlockt und das Belcea Quartet harsch dazwischenfährt, ahnt man den Preis, den Schönheit kostet. Wobei der Umschlag selten abrupt erfolgt: Bei Beethovens Rasumowsky-Quartett Nr. 1, das im Kammermusiksaal nach der Pause erklingt, lösen sich stählerne Klänge beinahe unmerklich in Wohlgefallen auf. Umgekehrt weicht Antoine Lederlins hauchzarte Cello-Kantilene im Eingangssatz wie selbstverständlich einem organischen Agitato.

Dabei leugnet die legendäre Homogenität des rumänisch-polnisch-französischen Ensembles mit Sitz in London nie die Individualität seiner Mitglieder. Hier spielen nicht vier Streicher einfach nur wie aus einem Guss oder ordnen sich gar dem Diktat des Einklangs unter. Jeder Part bleibt klar konturiert, selbst beim Unisono-Beginn des Capriccio von Haydns C-Dur-Quartett op. 20 Nr. 2.

Belceas lyrische Primgeige, die anschmiegsame zweite Geige von Sébastien Surel, der für den erkrankten Axel Schacher eingesprungen ist, die wache Dramatik des Bratschers Krzysztof Chorzelski, Lederlins schwärmerisch-melancholisches Cello – sie neigen sich einander zu, bilden Allianzen, tauschen auch mal die Rollen.

Die Kunst des Leisespiels, die das Belcea Quartet in Berlin zuletzt im März mit einem Brahms-Schubert-Programm im Boulez Saal unter Beweis stellte, paart sich diesmal mit schier unerhörter Expressivität. So harsch hat man ihn selten gehört, jenen Wutausbruch mit den brutal insistierenden Tutti-Schlägen in Dmitri Schostakowitschs c-moll-Quartett op. 110, die auf das sonore D-S-C-H-Kopfmotiv und die chromatisch gefärbten, im jüdischen Volkston gehaltenen Geigen-Elegien folgen. Das Quartett bringt die Musik förmlich zum Bersten.

Das Werk hat Bekenntnischarakter. Der von Stalins Regime schikanierte Komponist fasste seine Drangsal in Töne, die Unfreiheit, die Resignation und das erzwungene, mitunter grotesk anmutende Mitläufertum genauso wie die Verteidigung der Freiheit auf verlorenem Posten. Das Belcea Quartet kehrt die Physikalität der Komposition hervor, das Fratzenhafte, den Zynismus Schostakowitschs, aber auch die Bangigkeit des Ausharrens und Weiterlebens. Bis zum atemberaubenden finalen Diminuendo im Largo, bei dem die vier Unruhegeister die Zeit anhalten: zittriges Ersterben, beredte Stille – die Luft im Saal bebt noch, als der letzte Ton längst verklungen ist.

Ähnlich passioniert und doch voller Liebe zum Filigranen gehen sie bei Beethoven ans Werk, wenn die Bratsche den kindlich-kecken Rhythmus des auf einem Ton verharrenden Allegretto-Beginns vorgibt oder die beiden Geigen sich im Adagio zur Liebesnacht verabreden. Bögen, die sanft über Saiten streichen, innig einander zugewandte Stimmen – hier nimmt das Gespräch unter Freunden intime erotische Züge an.

Auf den Jubel des Publikums folgt als Zugabe das Andantino aus Debussys g-moll-Streichquartett. Noch ein Nachtgesang, doucement expressif – mit einer solistischen zweiten Geige. Als Dank auch an den Einspringer Surel, der die seit seiner Gründung 1994 verfeinerte Einmütigkeit des Belcea Quartet kongenial mitträgt.   

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