Hier drechselt der Fürst noch selbst
Adel verpflichtet – zum Drechseln. Eine eher überraschende Erkenntnis, die sich in der Sonderausstellung „Illustre Gäste. Kostbarkeiten der Kunstkammer Würth“ im Kunstgewerbemuseum gewinnen lässt. Unter den 70 Kleinskulpturen und Preziosen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die am Kulturforum gezeigt werden, finden sich auch Hohlkugeln aus Buchsbaum und gedrechselte Elfenbeinzierstücke, die weiland von der Aristokratie angefertigt wurden. Die Handwerkskunst diente den Fürsten zur Selbstinszenierung. Als begnadete Gestalter, die sich gottgleich schöpferisch betätigen und mit ruhiger Handwerkerhand die Regierungsgeschäfte führen.
Die Staatlichen Museen und die Kunstsammlung der Unternehmerfamilie aus Schwäbisch Hall verbindet eine lange Zusammenarbeit. Abgesehen von regelmäßigen Ausstellungen sind 30 Kleinskulpturen der Würths seit 2006 als Dauerleihgaben im Bode-Museum zu sehen, wo 2016 auch die Würthsche Holbein-Madonna gezeigt wurde. Die „Illustren Gäste“ sind nach „Anthony Caro. The Last Judgement Sculpture“ 2019/20 in der Gemäldegalerie die zweite Schau einer vierteiligen Gastspielreihe in Berlin.
Kunstkammern waren an den Fürstenhöfen des 16. und 17. Jahrhunderts gewissermaßen das, was heute Kunstgewerbemuseen sind: ein Schauraum vorbildhafter Dinge, deren Ästhetik ebenso überzeugt wie die handwerkliche Ausführung. Damals jedoch unter Ausblendung der lästigen sozialen Realität, die mit deren Herstellung oder mit der Gewinnung der nötigen kostbaren Materialien verbunden war.
An Königshöfen dienten sie der Repräsentation, den diplomatischen Beziehungen oder waren schlicht Kapitalanlage. Außerdem fungierten sie als Wissenskammern, die auch technische Innovationen und erstaunliche Fundstücke aus der Natur versammelten. Pittoreske Nautilus Muscheln beispielsweise, die sich im Kunstgewerbemuseum, verziert mit Seemonstern oder eingravierten Insekten, als reich vergoldete Prunkpokale finden. Exotische Materialien wie Muscheln oder auch die Hörner von Rhinozeros und Zebu erzählen von der in Pokalform gegossenen Sehnsucht nach fernen Ländern und Kulturen.
Die höfische Tisch-Etikette war ausgeklügelt
Neugier und die Lust am Staunen und am Spiel sind den Kunstkammerstücken genauso eingewebt wie der Stolz ihrer einstigen Besitzer. Ein schönes Beispiel sind die um 1650 aus Elfenbein gedrechselten Contrefaitkugeln von Lorenz Zick. Die Kugeln stecken auf eleganten Ständern. Zieht man an den Fäden, die rechts und links herunter baumeln, klappen – Kuckuck! – Miniaturmalereien heraus. Dass sich die Tischkultur zur Prestigepflege eignet, ist auch bei heutigen Staatsbanketten zu beobachten. Leider haben sich die am Anfang des 17. Jahrhunderts auf Fürstentafeln üblichen Trinkschiffe auf Rädern nicht in der Alltagskultur durchgesetzt.
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In ihrer Prunksucht werden die sorgfältig aus Silber ziselierten Schau-Gefäße nur noch von den Trinkspielen in Elefanten- und Hirsch-Form übertroffen. Sie glänzen in den Vitrinen, die der „Kostbaren Gastlichkeit“ gewidmet sind. Paulus Ättingers um 1610 verfertigte „Diana auf dem Hirsch“ ist mit Brillanten, Rubinen und Smaragden besetzt und mit Perlen behängt. Der Kopf des Hirsches ist abnehmbar, irgendwo muss er ja rein, der Wein. Eine daneben platzierte, ältere Version des Trinkspiels von Matthias Walbaum ratterte einst sogar mittels eingebauter Mechanik über den Tisch. Die höfische Gesellschaft will unterhalten sein.
(Kunstgewerbemuseum, bis 10. Juli, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr)
Konzentrierter als beim Zechen geht es bei den Skulpturen zu, die sich mit der antiken Mythologie beschäftigen. Kleinplastiken wie die 1650 von Leonhard Kern aus Elfenbein gearbeiteten „Drei Grazien“ sind nicht nur elegant anzuschauen. Sie erlauben den Zeitgenossen auch eine schickliche Auseinandersetzung mit der Nacktheit. Das geschnitzte Körpergewimmel auf den Prunkhumpen, die den antiken Frauenraub der Sabinerinnen darstellen, lässt sich nicht nur als erotische Männerfantasie, sondern auch als exquisite Schnitzkunst betrachten.
Ein Gedanke, der direkt zur Ausstellung „Slow Design for Fast Change“ (bis 20. Februar) führt, die nur ein paar Stockwerke höher liegt. Dort kontrastiert das Kunstgewerbemuseum neun aus nachhaltigen Laubhölzern gebaute Objekte mit der ständigen Sammlung. Die jungen Designerinnen und Designer, die die Stücke entworfen haben, waren ausdrücklich aufgefordert, die Langlebigkeit ihrer Möbel und Gegenstände zu bedenken. Statt Opulenz überwiegt Funktionalität – und elegantes Handwerk.