Griechische Gäste bei Young Euro Classic: In Hellas ist der Teufel los
Über Namen soll man ja keine Witze machen – aber Schwärmen ist erlaubt. Am Freitag, beim Auftritt des Greek Youth Symphony Orchestra am Gendarmenmarkt, führt Dionysis den Taktstock und Achilles bläst die Posaune. Fantastisch, wie lebendig die Antike in Hellas ist, mit welcher Selbstverständlichkeit Eltern ihre Sprösslinge nach Göttern und Helden benennen.
Nach dem umjubelten Berlin-Debüt vor zwei Jahren ist das junge, erst 2017 gegründete Orchester aus Athen zum zweiten Mal bei Young Euro Classic zu Gast. Auf dem Programm stehen allerdings keine griechischen Komponisten. Nichts erklingt vom Nationalheiligen Mikis Theodorakis, auch der wichtigste Avantgardist Iannis Xenakis ist nicht dabei.
Dafür eine Sinfonie seines Vornamensvetters Brahms, eine Rarität von Franziskos Liszt und ein ebenso unbekanntes Stück des Dänen Launy Gröndahl, dessen Vorname sich beim besten Willen nicht gräzisieren lässt. Als Zugabe spendiert Maestro Grammenos dann noch Wagners Vorspiel zum dritten „Lohengrin“-Akt.
Im vollbesetzten Konzerthaussaal erinnert Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue als Pate des Abends daran, wie das Greek Symphony Orchestra 2021 mit Beethovens „Eroica“ in Berlin triumphierte. Nach dem Tod des Titanen der Wiener Klassik taten sich die Komponisten schwer mit der Gattung Sinfonie, die Ludwig van zu einschüchternder Perfektion geführt hatte – so wie einst die alten Griechen die Kunst, aus Marmorblöcken Skulpturen zu formen.
Johannes Brahms war derart eingeschüchtert von dem Riesen, den er stets hinter sich marschieren hörte, dass er sich mehr als zwei Jahrzehnte mit seiner 1. Sinfonie herumplagte. Franz Liszt dagegen entwarf tollkühn gleich eine neue Gattung, die „symphonische Dichtung“, die das Prinzip über Bord wirft, dass Musik „absolut“ ist. Stattdessen sollten nun mit musikalischen Mitteln konkrete Geschichten nacherzählt werden.
Lodernde Leidenschaft
Zum Beispiel die von Prometheus, der in der griechischen Mythologie den Menschen das Feuer bringt – und damit die Zivilisation. Diese Tat wird vom Göttervater Zeus brutal bestraft: An einen Felsen gekettet, muss Prometheus die Qualen ertragen, dass ihm ein Adler die Leber herausreißt, die sich danach stets neu bildet.
Liszts Partitur ist perfekt für Jugendorchester. Denn sie muss glühen, lodern, züngeln, kurz, sie muss mit Pathos gespielt werden, wie das altgriechische Wort für Leidenschaft lautet. Genau dieses Feuer lodert in den Herzen der Nachwuchstalente, und Dionysis Grammenos weiß es so zu entfesseln, dass die Musik das Publikum förmlich anspringt – ohne dass jedoch die Farben des Tongemäldes verwischen.
Charmeoffensive per Posaune
Sein Dirigierstil ist denkbar weit entfernt von jedem Pultlöwen-Gehabe, das Adjektiv „zweckdienlich“ drängt sich auf, je länger man ihm zusieht. Aber er muss fantastisch geprobt haben. Denn die Musikerinnen und Musiker wissen auch in der komplexen „Ersten“ von Brahms stets ganz genau, wohin die Musik strebt und was sie im Innersten zusammenhält.
Schönklang und Konzentration vereinen sich hier mit bedingungsloser Hingabe zu einer interpretatorischen Intensität, wie man sie bei den Werken des Romantikers aus Hamburg selten hört. Dass die Sinfonie nur vier Sätze hat und nicht fünf Akte ist das Einzige, was diese Aufführung von der antiken Tragödie trennt. Nimmt man die Lautstärke des Applauses zum Maßstab, hat das Publikum hier definitiv eine Katharsis erfahren, eine „Läuterung der Seele“, wie sie sich Aristoteles schon vor 2300 Jahren vom Kunsterlebnis erhoffte.
Zwischen den beiden wuchtigen Romantikern steht am Freitag eine Charmeoffensive: Der ungemein sympathisch wirkende Achilles Liarmakopoulos zeigt als Solist im 1924 entstandenen, famos launigen Posaunenkonzert von Launy Gröndahl, wie vielseitig sein Instrument klingen kann: nämlich nicht nur schmetternd oder goldglänzend, sondern auch berückend butterweich.