Gedenken an den Schwarzen Schabbat
Es ist derzeit unerträglich heiß am Eleftheria Platz in Thessaloniki, die Temperaturen klettern bis auf knapp vierzig Grad. Der unscheinbare Parkplatz liegt unweit vom Meer, nahe am alten Hafen, es gibt keinen Schatten. Heute vor achtzig Jahren war ein ähnlich heißer Sommertag, der als Schwarzer Schabbat in die Geschichte eingegangen ist.
Samstag, 11. Juli 1942. Es sollte eigentlich der traditionelle Ruhe- und Familientag für die jüdische Gemeinde sein. Doch die deutsche Besatzungsbehörde hatte alle männlichen Gemeindemitglieder zwischen 18 und 45 aufgefordert, sich auf dem Platz zu melden. Sie wussten nicht, was sie erwartet: die Registrierung zur Zwangsarbeit.
Vor allen Dingen ahnten sie nicht, welche grausame Behandlung ihnen bevorstand. Stundenlang mussten sie in der Hitze auf dem Platz stehen.
Wer zu spät kam, wer rauchte, oder es wagte sich auf den Boden zu setzen, wurde von den deutschen Soldaten und ihren griechischen Kollaborateuren geschlagen. Einige wurden auch gezwungen, Kniebeugen und andere Übungen zu machen, was der Belustigung der Soldaten dienen sollte. Wer zusammenbrach, wurde von Militärhunden gepeinigt.
Bitter ist das Verhalten der zahlreichen Kollaborateure
Rena Molho, Historikerin und Pionierin der Erforschung des Holocaust in Griechenland, zeigt auf eines der umstehenden Häuser am Platz: „Das ist das einzige erhaltene historische Gebäude hier, die anderen wurden bereits im großen Feuer von 1917 zerstört.“ Dort, in der Villa Stein, hielten sich Angestellte der Besatzungsbehörden auf, die das Geschehen beobachteten. „Diese Leute applaudierten und lachten, als die Menschen auf dem Platz zusammenbrachen und erniedrigt wurden,“ sagt Molho.
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Besonders bitter ist aus ihrer Sicht das Verhalten der zahlreichen Kollaborateure und jener, die einfach wegschauten. „Die meisten jüdischen griechischen Männer, die hier zusammenkamen, hatten ihr Leben für die Verteidigung Griechenlands gegen Mussolinis Italien aufs Spiel gesetzt. Griechenland hat seine jüdischen Bürger nicht geschützt – wie viele andere Länder leider auch.“
Vor dem Zweiten Weltkrieg war Thessaloniki eine jüdisch geprägte Stadt. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte die jüdische Gemeinde mit über vierzig Prozent die Bevölkerungsmehrheit im „Jerusalem des Balkans“. 56 000 Mitglieder zählte die Gemeinde im April 1941, als die deutsche Besatzungszeit begann.
Tausende wurden zur Zwangsarbeit eingezogen
Nach dem Schwarzen Schabbat ging der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in atemberaubendem Tempo vonstatten. Mehrere Tausend Männer wurden zur Zwangsarbeit eingezogen und bei so schweren Arbeiten eingesetzt, dass nach wenigen Monaten bereits über zehn Prozent von ihnen an Erschöpfung starben. Die Ausbeutung verlief systematisch unter Aufsicht des örtlichen Wehrmachtsvertreters Max Merten.
Auf seine Anweisung hin konnte die jüdische Gemeinde unter der Aufbringung enormer Summen zwar viele Männer vom Zwangsarbeitsdienst freikaufen. Aber die nächsten Schritte der Mordpolitik waren längst in Planung: Entrechtung, Ghettoisierung, Deportation. Zur Durchführung rückten Anfang 1943 die Eichmann-Mitarbeiter Dieter Wisliceny und Alois Brunner mit einem SS-Kommando an. In einem halben Jahr wurden über 45 000 Menschen in überfüllten Waggons überwiegend nach Auschwitz deportiert. Nur wenige Hundert kehrten nach dem Krieg nach Thessaloniki zurück.
Die Erinnerung an die Katastrophe fällt der Stadt bis heute schwer. Zwar gibt es Forschungsprojekte und wachsendes Interesse. Aber kaum Erinnerungsorte. Der einst größte jüdische Friedhof Europas wurde unter deutscher Besatzung von der Stadtverwaltung zerstört, Hunderttausende Grabsteine geraubt und als Baumaterial genutzt.
Heute befindet sich dort der Campus der Aristoteles-Universität, nur ein kleines Mahnmal erinnert daran, dass sich die Uni auf einem brutal entweihten heiligen Ort befindet. Auch das kleine Holocaust-Mahnmal vor dem Eleftherios-Platz, bis heute das zentrale der Stadt, kann man leicht übersehen.
Der Name des Platzes ist ein Hohn
Eigentlich sollte auf dem Eleftherios-Platz ein Gedenkpark entstehen, so hatte es der ehemalige Bürgermeister Giannis Boutaris 2018 angekündigt. Die neue Stadtverwaltung ignoriert den Plan. „Das ist extrem enttäuschend für uns, für alle, denen die Geschichte am Herzen liegt“, sagt Hella Matalon, ein Mitglied der jüdischen Gemeinde. Aus ihrem Büro schaut sie herunter auf den Platz, auf dem ihr Großvater Solomon Cohen 1942 misshandelt wurde. Die Deutschen schlugen ihn so brutal, dass er sich am nächsten Tag nicht mehr bewegen konnte.
„Eleftherios“ steht für Freiheit, der Name des Platzes rührt von der jungtürkischen Revolution her, die im osmanischen Thessaloniki, dem Geburtsort Mustafa Kemal Atatürks, ihr Zentrum hatte und hier 1908 weitreichende Reformen einforderte. Angesichts der Erniedrigungen des Schwarzen Schabbat ist der Name ein schwer erträglicher Hohn, ebenso wie seine heutige Funktion als Parkplatz.
Die jüdische Gemeinde hat zentralen Anteil an der Geschichte Thessalonikis. Für ihr grausames Schicksal tragen in erster Linie Deutsche, aber auch griechische Kollaborateure Verantwortung. Ein angemessenes Gedenken daran steht in Thessaloniki bis heute aus.