Ein Kammerspiel über Freundschaft: Richard Linklaters „Blue Moon“ auf der Berlinale
Für ein Wortspiel würde er seine Großmutter verkaufen. Unaufhörlich reiht der Songwriter Lorenz „Larry“ Hart (Ethan Hawke) Sottisen aneinander, Pointen, Zoten, Songzeilen, Filmzitate, aus „Casablanca“ vor allem, mal poetisch, mal vulgär, er ist nicht zu bremsen. Hockt an der Bar, nennt sich „omnisexuell“, es geht ja nicht anders, wenn er sich als Texter in alle Sorten Menschen hineinversetzen möchte.
Er scherzt mit dem Barkeeper, seinem Vertrauten (Bobby Cannavale), der ihn anfangs noch erfolgreich vom Bourbon abhält, er flirtet mit dem Blumenboten und dem jungen Barpianisten, er hockt sich zu dem berühmten Essayisten, der auf ein Glas vorbeischaut. Sie alle nutzt er als Stichwortgeber, als Dialogpartner, als Publikum.
Vor allem schwärmt er von Elizabeth (Margaret Qualley), 20, Studentin, sein Protegé. Er ist unsterblich verliebt, huldigt ihren smaragdgrünen Augen und den zwei Sommersprossen auf ihrer Wange, während sie ihm von ihrem ersten richtigen Lover (ziemlich unglückliche Geschichte) erzählt, kaum dass sie aufkreuzt. „I love you“, sagt sie zu Larry, aber sie meint es freundschaftlich. Der ältere Mann und die junge Frau, die ihn für die Karriere braucht, Hart bedenkt auch das mit elegant-sarkastischer Selbstironie.
Es ist der 31. März 1943, die Bar heißt Sardi’s, ein Ort wie eine Bühne. Richard Linklater hat das Kammerspiel eines einzigen Abends inszeniert und choreografiert, nach dem virtuos-rasanten Drehbuch von Robert Kaplow, mit Ethan Hawke im Zentrum. Ein Parforceritt für den Schauspieler, Hawke legt einem diesen eloquenten Kerl mit seinen mal brillanten, mal ordinären Sprüchen ans Herz. Schwer, sich dem ein wenig abgehalfterten, aber immer noch sprühenden Charme dieses kleinen Mannes mit dem schütteren, akkurat gescheitelten Haar zu entziehen.
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Linklater und sein Lieblingsschauspieler sind Berlinale-Stammgäste seit „Before Sunrise“ vor 30 Jahren, gefolgt von „Before Sunset“ und „Before Midnight“: auch das Filme, die von rasanten, unaufhörlichen Dialogen lebten. Zuletzt waren sie mit „Boyhood“ hier, dem Publikumsliebling und besten Wettbewerbsfilm 2014, der von der Bären-Jury jedoch lediglich mit Regie-Silber ausgezeichnet wurde.

© AFP/STEFANIE LOOS
Jetzt also „Blue Moon“. Eine Hommage an den guten alten Broadway, Abgesang auf jene Zeit in der Entertainmentindustrie, als der Esprit noch mehr zählte als der Profit. Ein Narr, wer da nicht an die klassischen und die neuen Medien von heute denkt, an Quoten und Clickbaits. Oder daran, dass das Geld zunehmend auch in der Politik regiert, gerade in Amerika.
Lorenz Hart ist eine Legende der Musical-Geschichte, die Welt verdankt ihm Evergreens wie „My Funny Valentine“ und eben „Blue Moon“. Mit dem Komponisten Richard Rodgers feierte er Musical-Erfolge. Aber er hatte Alkoholprobleme, kämpfte mit seiner Homosexualität, die damals noch verboten war. Und an diesem Abend im Sardi’s wird die Premiere von Rodgers’ „Oklahoma!“ gefeiert, bei dem die Texte erstmals nicht von ihm stammen, sondern von Oscar Hammerstein, einem früheren Schulfreund, der deutlich größer und gewichtiger ist.
Oklahoma mit Ausrufezeichen! Schon das ist Larry ein Graus. Oder die Maisfeld-Zeile „The corn stands as high/as an elephant’s eye“, was für ein Unsinn. Aber Qualität spielt keine Rolle, die Unterhaltungsbranche braucht jetzt patriotischere Songs, trivialere Storys, Publikumshits.

© AFP/JOHN MACDOUGALL
Larry schwadroniert zwar davon, dass sein Werk seinen Tod überleben wird, aber er weiß, es ist vorbei. Rodgers verspricht ihm ein Revival ihres Musical-Erfolgs „A Connecticut Yankee“ mit neuen Songs, er begegnet ihm freundlich. Sein sorgsam kaschierter Unmut über die Nervensäge, sein Mitleid mit dem langjährigen Partner (großartig subtil: Andrew Scott) sind vernichtend. Hart starb sechs Monate später, nach der Wiederaufführung von „A Connecticut Yankee“, mit 48 Jahren. Der Vorspann zeigt, wie er im strömenden Regen in der Gosse zusammenbricht, während er mit letztem Reststolz einen seiner dreifachen Songreime zitiert.
Jetzt, in der Bar, sagt er, es sei wie bei den guten und den schlechten Zeiten in der Ehe. „Ich bin in meinem Leben jetzt im schlechten Teil angekommen.“ Er trinkt auch deshalb, nicht ohne die Schönheit des Schnapsgläschens zu bedichten, das etwas so Wunderbares zu beinhalten vermag. Die Bar füllt sich mit den Premierengästen, gleich gehen sie weiter, zur Party. Wenn nur Elizabeth noch einmal mit ihm redet.
„Blue Moon“ ist eine elegante, altmodische Tragikomödie, man denkt an die Filmtheaterspiele eines Alain Resnais, an das New-York-Flair des früheren Woody Allen. Auf Festivals wie der Berlinale laufen längst andere Filme, die mit radikaleren Mitteln erzählen. Bei der Pressekonferenz zu „Blue Moon“ sagt Ethan Hawke, es brauche ein Leben, um sich auf so eine Rolle vorzubereiten, man müsse dafür auch mal Macbeth gespielt haben.