Warum Leon Draisaitl in Deutschland wenig Aufmerksamkeit erhält

Am Mittwochmorgen, als in Deutschland die meisten Menschen geschlafen haben, hat Leon Draisaitl im fernen Denver im US-Bundesstaat Colorado wieder einmal eine Bestmarke aufgestellt.

Im ersten Halbfinalspiel der Serie seiner Edmonton Oilers gegen die Colorado Avalanche gelangen dem gebürtigen Kölner wieder zwei Scorerpunkte, zum sechsten Mal in Folge in den Play-offs. Das hat in der National Hockey League (NHL) vor Draisaitl noch keiner geschafft.

Leon Draisaitl, 26 Jahre alt, ist für viele der beste Eishockeyspieler der Welt, doch in seiner Heimat spielt das kaum eine Rolle. Sein Bekanntheitsgrad ist erstaunlich niedrig. Aber das hat Gründe und interessanter Weise ist daran die NHL selbst ein Stück weit Schuld.

„Wenn Du nicht gesehen wirst, dann existierst Du eben nicht“, hat Eishockeytrainer Don Jackson, früher selbst Spieler bei den Oilers in deren glorreicher Zeit in den Achtzigern, gesagt. Das trifft im Falle Draisaitl besonders zu: Wenn die Sportart Eishockey in den jüngsten Jahren außerhalb ihrer Fanblase mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genoss als sonst, dann war die Nationalmannschaft mit im Spiel: 2018 bei der Olympischen Silbermedaille standen Millionen Menschen auch in der Nacht auf, um mitzufiebern.

Oder auch 2021, als es Platz vier bei der WM in Riga gab, waren die Quoten gut – oder zuletzt bei den Olympischen Spielen von Peking. Draisaitl war jedes Mal nicht dabei, zuletzt war er bei der WM 2019 im deutschen Aufgebot – und es könnte für lange Zeit das letzte Mal gewesen sein für ihn im Nationaltrikot.

Wenn Draisaitl bei der WM spielen könnte, kommt das Veto

Die WM läuft eben dann, wenn in der NHL die besten Team noch in den Play-offs spielen. Und für Olympische Spiele hat die nordamerikanische Profiliga zuletzt 2014 ihren Spielbetrieb unterbrochen. Seit nunmehr acht Jahren haben sie sich im Eishockey nicht mit ihren bestmöglichen Nationalteams gemessen – eine traurige Marke für eine Sportart, die auf der nördlichen Halbkugel der Erde doch eine größere Rolle spielt.

Wenn Draisaitl dann mal bei der WM spielen könnte – wie 2021 – dann kommt das Veto seines NHL-Klubs. Von wegen Verletzungsrisiko. Oder die Teilnahme des Superstars scheitert daran, dass die Versicherungssumme für den Deutschen Eishockey-Bund schlichtweg nicht bezahlbar ist.

Nun kann man der NHL völlig zurecht Selbstsucht vorwerfen, tatsächlich interessiert sich die größte Eishockeyliga der Welt nur dann für den Rest der Eishockeywelt, wenn es um die Sichtung junger Talente geht, die in der NHL spielen sollen. Natürlich ist das marketingtechnisch seltsam. Die weltweit geschickter operierende Basketball-Liga NBA ruft in Europa und auch in Deutschland weit mehr Interesse hervor als die NHL.

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Letztere versucht alle paar Jahre mit als tolles Event getarnten Freundschaftsspielen („Global Series“) irgendwie den Markt in Europa erobern zu können. So kommen zum Beispiel die San Jose Sharks am 4. Oktober nach Berlin – zu völlig überzogenen Ticketpreisen für ein Testspiel.

Fernsehsport mit Leon Draisaitl gibt es in Deutschland nicht.Foto: IMAGO/ZUMA Press

Wenn die Sharks dann in Berlin mal rumfragen würden, wer ihre Spieler denn so kennt, dann würde sie vermutlich vom Glauben abfallen. Dem deutschen Eishockeyfan ist das eigene Team, das eigene Stadionerlebnis immer noch lieber als das, was tausende Kilometer weiter westlich meist des nächtens in Nordamerika in Colorado oder Edmonton passiert.

Fernsehsport mit Leon Draisaitl gibt es nicht

Leon Draisaitl ist in Deutschland einfach kaum präsent. Vor zwei Jahren, nachdem er zum besten Spieler in der NHL gekürt worden war, hat er im Sommer mal alles abgeklappert, was sich so an den einschlägigen Fernsehstunden so bot. Dabei kam der gebürtige Kölner auch recht smart rüber, allerdings wird bei ihm eben noch nicht so ganz klar, wofür er denn so steht.

Das war bei einem Dirk Nowitzki, der ja seine Karriere auch nur in Übersee und in der NBA verbracht hatte, eben doch etwas anders. Der Basketballer war und ist in Deutschland bis heute ein Werbeträger. Fernsehspots mit Leon Draisaitl gibt es nicht.

Sein Jugendfreund Frederik Tiffels, selbst Eishockeyprofi in München sagt: „Der Weg von Leon hat sich abgezeichnet. Ich denke, es ist unglaublich, was er da macht. Ich freue mich riesig für ihn. Wenn man an Träume glaubt, dann ist eben viel möglich.“

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Richtig bekannt würde Draisaitl in der Heimat wohl nur, wenn er etwa bei Olympischen Spielen oder der WM mit dem Team erfolgreich aufspielen würde – aber das passiert ja nicht. Zumindest kann er an seinem ohnehin schon riesigen Bekanntheitsgrad in Nordamerika arbeiten, wenn dem deutschen Angreifer dieses Jahr tatsächlich die Erfüllung seines großen Traumes mit dem Gewinn des Stanley Cups gelingt.

Davon ist aber nicht sicher auszugehen, das erste Spiel der Best-of-Seven-Serie in Colorado verloren die Oilers in einem Halligallispiel am Mittwoch 6:8. Leon Draisaitl hat danach gesagt: „Einmal schütteln, ein paar Sachen anpassen und dann werden wir besser sein.“

Das werden in den USA und Kanada dann bestimmt viele Menschen verfolgen, hierzulande dürfte es anders sein: Das zweite Halbfinalspiel in Colorado ist am Freitagmorgen um 2 Uhr.