Berlin Biennale muss Werke umhängen

Wer glaubte, die 12. Berlin Biennale würde anders als die Documenta ohne größere Aufregung durch den Skandal-erschütterten Kunstsommer gelangen, sieht sich nun getäuscht. Unter der Oberfläche hatte es bereits länger rumort. Ein im US-Kunstmagazin „Art Forum“ mit 15 weiteren Unterzeichnenden publizierter offener Brief der irakischen Künstlerin Rijin Sahakian brachte den Konflikt zutage.

Die Installation „Lösliches Gift. Szenen aus der Zeit der amerikanischen Besetzung in Bagdad“ im Hamburger Bahnhof zeigt vergrößerte Ausschnitten bekannter Folterfotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib. Das löste Widerspruch insbesondere unter irakischen Künstler:innen aus, deren Arbeiten sich in unmittelbar Nachbarschaft der in Form eines Labyrinths präsentierten Aufnahmen befanden.

Irrgarten des Grauens

Zu Protesten gegen Jean-Jacques Lebels Irrgarten des Grauens muss es jedoch schon sehr viel früher gekommen zu sein. So soll die Co-Kuratorin Ana Texeiro Pinto genau deshalb das fünfköpfige Team rund um den Biennale-Macher Kader Attia verlassen haben.

Die Biennale wollte sich dazu nicht äußern, verwies jedoch in einer Erklärung darauf, dass Teixeira trotz ihres Rückzugs noch im Juli die gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt organisierte Konferenz „Whose Universal?“ verantwortet habe. Von Kader Attia wird eine Stellungnahme in Aussicht gestellt, deren Freigabe jedoch auf sich warten lässt.

Mittlerweile wurde umgehängt, der Beitrag des irakischen Künstlers Sajjad Abbas befindet sich nun nicht länger in der Nähe der Folterbilder. Sein Video „I can see you“ mit einem überdimensionalen Auge hängt bereits an einem anderen Biennale-Standort: über dem Eingang zu den Ausstellungsräumen der Akademie der Künste am Pariser Platz.

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Für das Gemälde des irakischen Künstlers Raed Mutar müsse noch ein alternativer Platz gefunden werden, heißt es. Die Rieck-Hallen blieben am Donnerstag wegen aktueller Umbauten geschlossen.

Der Protest der irakischen Künstler richtet sich vor allem dagegen, dass die Aufnahme ohne die kaum zu erwartende Genehmigung der Gefolterten reproduziert worden seien. Ihrer Meinung nach würden auch die Warnhinweise auf den verstörenden Inhalt der extrem vergrößerten Bilder, die durch Vorhänge vom Ausstellungsrundgang separiert sind, nicht genügen.

Insbesondere die affirmative Darstellung wird kritisiert.

Unmengen Fotos von der Tragödie

Die Erklärung Jean-Jacques Lebels zu seinem Werk auf der Biennale-Website sowie zur Tatsache, dass nach den Schergen Saddam Husseins US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib folterten, bekräftigt implizit diesen Vorwurf: „Das einzig Neue an dieser anscheinend ewigen Tragödie waren Unmengen Fotos – Zeugnisse ihres kriminellen Fehlverhaltens –, die die folternden Amerikaner:innen selbst gemacht und stolz ins Internet gestellt hatten,“ schreibt er. Der Biennale-Titel „Still Present!“ erfährt mit Lebels Beitrag eine traurige Bestätigung. Attias Versuch, altes Unrecht zu durchbrechen, schlägt hier ins Gegenteil um.

Ansonsten aber scheint die ebenfalls vornehmlich dem Globalen Süden zugewandte Berlin-Biennale von den Konflikten, mit denen sich die Documenta konfrontiert sieht, weniger berührt. Werke antisemitischen Inhalts wurden nicht identifiziert, dafür Beiträge, die dezidiert Israel-kritisch sind wie die Erhebung der britischen Künstlergruppe Forensic Architecture um Lawrence Abu Hamdan, der die Flüge israelischer Drohnen über dem Luftraum des Libanon in einer Schautafel über einen Zeitraum von 15 Jahren festhielt.

Die israelische Künstlerin Dana Levy beschäftigte sich wiederum kritisch mit der israelischen Siedlungspolitik. Abhängen musste die Biennale also noch kein Werk, nun allerdings umhängen.