Unerträglich langsame Wut
Mit sanften, kleinen Bewegungen zieht Diana El Jeiroudi eine Linie über den Wimpernkranz. Sie blickt sich dabei selbst in die Augen. Die Kamera, auf den Spiegel gerichtet, filmt mit. Make-up ist El Jeiroudis Kampfoutfit – ein Zeichen, das ihrem Umfeld, vor allem aber ihr selbst, zu verstehen gibt: Ich bin bereit. Der Lidstrich ist ein wiederkehrendes Motiv in ihrem Dokumentarfilm „Republic of Silence“ – ebenso wie das Ticken der Uhr, der Blick aus dem Fenster auf den Fernsehturm in Berlin, die Leichen toter, ermordetet Menschen in Syrien.
Mehr als zehn Jahre lang hat El Jeiroudi an dem dreistündigen Filmessay über ihr Heimatland gearbeitet, entstanden ist ein persönliches Memoire. Entlang ihres Umfelds erzählt sie, wie sich Krieg, Diktatur und Repression im Privaten widerspiegeln – und blickt zurück auf ihre eigene Vergangenheit: Sie erinnert sich an die erste Kamera, die sie als Siebenjährige von ihrem Vater geschenkt bekommen hat; dokumentiert die Verhaftung ihres Partners, des unabhängigen Filmemachers Orwa Nyrabia, mit dem sie heute im Berliner Exil zusammenlebt.
„Republic of Silence“ ist El Jeiroudis bislang persönlichste Arbeit. Der Blick in den Spiegel, das Sich-bereit-Machen, steht deshalb auch für den selbstkritischen Blick auf das eigene Schaffen. Eben diese Bildsprache, die subtilen, intimen Details, zeichnen ihren Film aus, verleihen ihm seine Wirkung. „Ich habe genug von großspurigen Äußerungen und lauten Stimmen. Ich bin müde davon“, sagt El Jeiroudi im Video-Gespräch.
Die Regisseurin, Jahrgang 1977, ist in Syrien aufgewachsen und hat in Damaskus studiert. Dennoch möchte sie nicht als syrische Filmemacherin bezeichnet werden – „sich nicht auf einen Pass reduzieren lassen“, wie sie sagt. Mit 25 Jahren hat El Jeiroudi das Filmen für sich entdeckt und sich seitdem zu einer international anerkannten Regisseurin und Drehbuchautorin etabliert. Heute ist sie unter anderem Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Los Angeles. Im vergangenen Jahr hatte „Republic of Silence“ bei den Filmfestspielen in Venedig seine Premiere.
Die Dreharbeiten begannen vor dem Arabischen Frühling
Der Weg bis dorthin erstreckte sich über mehr als ein Jahrzehnt, die Ausrichtung des Films veränderte sich mitten im Entstehungsprozess: Als El Jeiroudi 2010 mit dem Drehen begann, begleitete sie ihren besten Freund Rami Abou Jamra auf seiner Forschungsreise in Syrien. Der junge Arzt forschte zu Erbkrankheiten, besuchte betroffene Familien.
Die Aufnahmen entstanden noch vor Beginn des Arabischen Frühlings. El Jeiroudi zeigt sie gleich zu Beginn, im ersten von insgesamt vier Kapiteln. So wird der Fokus ihres Films nicht sofort ersichtlich – wenngleich die Anfangssequenz schon einen Hinweis liefert: „Dieser Film beginnt ohne Bild. Es gibt kein Bild für das, was ich sah“, steht in weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund. Immer wieder wechseln sich Schrift- mit Bewegtbilder ab; Fotografien aus El Jeiroudis Schulzeit und Fernsehaufzeichnungen dienen der Einordnung von persönlichen und politisch Ereignissen.
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Mit Beginn des Krieges in Syrien nahm die Filmemacherin zunehmend Abschied von ihrer Ursprungsidee. Also schloss sie sich in ihrem Arbeitszimmer ein, überlegte, schrieb, konzipierte neu. Alles, was um sie herum passierte, beeinflusste ihre Arbeit: Die Katastrophen im Heimatland, das Leid der Menschen, die Politiker, die ihre Parolen in den Medien platzierten. „Ich wurde immer wütender. Und diese Wut, die sich in mir anstaute, war wahrscheinlich die stärkste Emotion, die mich dazu gebracht hatte, den Film zu machen“, sagt sie.
Ein Film wie ein Mosaik
Das spürt man als Zuschauerin. Wenngleich sich ihre Wut nicht laut und explosiv, sondern leise und stellenweise unerträglich langsam ausdrückt. Als Frau achte sie viel mehr auf Details und Emotionen, die unter der Oberfläche schlummern, meint El Jeiroudi. Sie nehme die Welt anders wahr als ihre männlichen Kollegen.
Dass das nicht nur individuelle Gründe hatte, bemerkte sie erst allmählich. „Die meisten Filme, die ich in meiner Jugendzeit gesehen habe, sind von Männern gemacht“, so El Jeiroudi. Als Feministin sei es ihr aber ein Anliegen, über die Ungleichheiten in der Filmbranche nachzudenken – strukturell und künstlerisch. So war ihr beim Schnitt wichtig gewesen, mit einer Frau, Katja Dringenberg, zusammenzuarbeiten.
(In den Berliner Kinos Delphi, Filmtheater Friedrichshain, Passage)
Über einen Zeitraum von einem Jahr haben sie gemeinsam an der Montage des Films gearbeitet. Das Ergebnis gleicht einem Mosaik – das zentrale Motiv: Stille. „Ich verstehe sie als Warnung“, sagt die Regisseurin. Dort wo Menschen schweigen oder zum Schweigen gebracht werden, gelte es innezuhalten und zu hinterfragen. „Dabei kann Stille vieles bedeuten: Protest, aber auch Unterdrückung.“
So auch in „Republic of Silence“. Mal schwingt, mal kippt die Stimmung zwischen den beiden Gegenpolen. Manchmal kann die Stille auch beides bedeuten. „Das Publikum soll selbst entscheiden, wie es die einzelnen Szenen interpretiert“, sagt El Jeiroudi. „Republic of Silence“ ist kein Film der Antworten gibt. Vielmehr ist er eine Einladung, eine Art Brief. Und wer in die Stille hinein hört, hat eine Chance zu verstehen, was El Jeiroudi darin flüstert. Leise, subtil.