Ukrainisches Kriegstagebuch (104): Mein Generator geht auf die Reise

Immer wenn Katja anruft, freue ich mich, obwohl ich sonst eigentlich ungern telefoniere und mein Handy andauernd auf lautlos gestellt ist. Habe ich eine leichte Telefonophobie entwickelt? Ich finde das Schreiben mittlerweile viel entspannter und habe auf dem iPhone alle möglichen Messenger installiert.

Unter meinen Freunden gibt es welche, die WhatsApp boykottieren, mit ihnen kommuniziere ich über Telegram, mein Sohn schreibt mir auf Instagram, während die älteren Ukrainer*innen Viber bevorzugen. Aber Katja gehört zu den wenigen Ausnahmen, auch wenn ich weiß – unsere Telefonate sind nie kurz.

Wir können locker eine Stunde reden, oder sogar länger, da wir immer reichlich Gesprächsstoff haben. Wir kommen beide aus der Ukraine, leben seit vielen Jahren in Deutschland, haben einige gemeinsame Freunde und regen uns immer über die gleichen Dinge auf.

Als letzte Woche Katjas Name auf dem Handy-Bildschirm erschien, war das Timing perfekt. Gerade hatte ich mit den drei Fahrern gesprochen, in der Hoffnung, sie würden einen 86 Kilo schweren Generator aus Berlin nach Charkiw bringen. Ich war verzweifelt – auch wenn ich genug Geld gesammelt habe, um einen teuren, in den Wintermonaten in der Ukraine so begehrten Stromerzeuger zu erwerben, ist der Versand in die Heimat heutzutage eine wahre Herausforderung.

Kein deutscher Laden bietet Lieferung in die Ukraine, deswegen nutzt man oft die Dienste privater Transporteure. Aber irgendwie hat es mit keinem der drei Fahrer geklappt. „Ich bin so fertig, Katja!“, wollte ich sagen und Katja hätte mich sofort verstanden, das wusste ich, wir Ukrainer*innen haben zur Zeit alle ähnliche Sorgen. 

Ich ging ran und hörte Katjas fröhliche Stimme: „Yura, ich bin so fertig, aber auch glücklich, gerade habe ich einen riesigen Generator nach Lwiw geschickt!” In den nächsten fünfzig Minuten erzählte sie mir von den Fahrern, die regelmäßig ihre Sendungen in die Ukraine zustellen, hat mir ihre Telefonnummer diktiert und vorgeschlagen, den Generator, den ich online bestellen würde, zuerst an ihre Adresse liefern zu lassen – sie wohnt im Erdgeschoss in einer ruhigen kleinen Straße, wo man ihn einfach draußen vor der Haustür für ein paar Tage abstellen könnte, bis der ukrainischer Transporteur kommt.

Nach unserem Telefonat habe ich sofort die Bestellung abgegeben, am Dienstag kam die Riesenkiste bei Katja an. Heute meldete sie sich bei mir mit der Nachricht, dass der Fahrer um 13 Uhr bei ihr sein sollte, zwei Stunden früher als geplant. Ich habe mich auf den Weg gemacht.

Auf der Schönhauser Allee, wo immer viele Plakate kleben, fiel mir eines ins Auge – ich vermutete zuerst, es gehe hier um eine ukrainische Veranstaltung, sah aber dann, dass ich mich geirrt habe: Mit großen gelb-blauen Lettern wird das Berliner Konzert einer weiteren Abschiedstour der Erfolgsband Scorpions angekündigt.

Die Fahrt in der S-Bahn verbrachte ich mit dem Stöbern in meinem Facebook Feed, und stelle schnell fest, dass viele meiner Freund*innen immer noch in den #FreeTheLeopards-Flashmob verwickelt sind. Zwar hat Deutschland der Ukraine bereits versprochen, Leopard-Panzer zu liefern, jedoch scheint die Zahl der Fotos in Klamotten mit Leopardenmuster nicht zu sinken.

Eine ukrainische Autorin, die oft nackt posiert, hat auf dem neuen Bild etwas zwar transparentes, dennoch leopardenhaftes an, jemand hat ein Update von Taras Schewtschenkos Porträt gebastelt, bei dem die Pelzmütze sowie der Mantel des ukrainischen Klassikers ein Leopardenmuster verpasst bekommen haben. 

Die Leoparden sind also „befreit” worden, und auch mein Generator fährt morgen nach Charkiw. Falls der Verteidigungsminister Probleme mit der Logistik haben sollte, kann er sich gern bei mir melden, ich gebe ihm gern die Telefonnummer des ukrainischen Transporteurs. Zusammen kriegen wir es schon irgendwie hin!

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