Ein estnisches Orchester bei Young Euro Classic: Bienen summen an der Ostsee
Eine tiefe, langanhaltende Faszination geht von den baltischen Staaten aus: wegen ihrer auch mit Deutschland verbandelten Geschichte, ihrer Lage an der Ostsee als Nachbar Russlands, seit Beginn des Krieges zudem wegen ihres Status als potentiell bedrohtes Nato-Gebiet. Der nördlichste der drei, Estland, war nun zu Gast beim Festival Young Euro Classic, in Gestalt des Orchesters der Estnischen Akademie für Musik und Theater mit Toomas Vavilov am Pult des Konzerthauses.
Arvo Pärt, der Jahrzehnte in Berlin gelebt hat, gehört zu den beliebtesten zeitgenössischen Komponisten. Hört man die beiden Werke, die von ihm auf dem Programm stehen, weiß man sofort, warum: Sie sind durchkonstruiert, aber nicht verkopft, melodiebasiert und sinnlich, ohne gefällig zu sein. Man möchte sie, keine Selbstverständlichkeit bei Neuer Musik, wiederhören. Wobei „Wenn Bach Bienen gezüchtet hätte“ auch schon 1976, vor einem halben Jahrhundert, entstand. Die titelgebenden Tiere summen und brummen vor allem im Streichertremolo der vier Töne B, A, C und H. Der Name des barocken Meisters besteht zufällig aus Tönen, die in Halbtonschritten, also dem in der abendländischen Musik engstmöglichen Abstand, beieinanderliegen.
Viele Komponisten, nicht zuletzt Bach selbst, haben mit diesem chromatischen Motiv gespielt, Pärt hievt diese Tradition intelligent in die Gegenwart – und fügt am Ende noch ein Zitat aus dem h-Moll-Präludium ein, dem letzten im ersten Band des „Wohltemperierten Klaviers“. Mit beständig um sich selbst kreisenden Formen erzeugt er dann in dem 2010 entstandenen „In spe“ eine meditative Stimmung, beide Stücke sind Höhepunkte des Abends, zu dem die 1992 geborene Alisson Kruusmaa fünf im Wortsinn zartbesaitete Arabesken beisteuert.
Wie ein Findling steht Haydns elftes und letztes Klavierkonzert D-Dur und sein „ungarisches“ Rondo in diesem ansonsten rein estnischen Programm. Mit spielerisch-verzauberter Brillanz nimmt Sten Heinoja den Solopart, das junger Orchester greift seine Impulse gerne auf. Eduard Tubins 1958 entstandene 7. Symphonie und seine an Schostakowitsch erinnernden Marschthemen im Finalsatz bilden den Kehraus eines Konzerts, das insgesamt vielleicht doch zu monochrom auf estnische Kompositionen gesetzt hat, dem der Kontrast, der Kontrapunkt fehlt.