Ein Desaster für die Documenta

Zum Menetekel der Documenta fifteen ist nun ein verhängtes Plakat geworden, verursacht durch das Kollektiv Taring Padi aus Indonesien. Ein bitteres Motiv, denn es demonstriert, wie weit zwischen Europa, genauer: der Bundesrepublik und dem asiatischen Land das Verständnis auseinandergeht, was als kritisch akzeptabel gilt und was antisemitisch verletzend ist.

Die nachgereichte Erklärung der Künstlergruppe erhellt kaum, wie es möglich war, dass die Banner-Installation „People’s Justice“ von 2002 mit antisemitischen Figurendarstellungen ihren Weg ausgerechnet auf den zentralen Platz der Documenta fand.

Das Statement von Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, die Geschäftsführung sei keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen ließe, verärgert geradezu angesichts des Skandals. Sollte also niemand vorher das Plakat gesehen haben? Hat nirgendwo eine Alarmglocke geschrillt, als es schließlich hing?

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zuletzt war das Werk 2019 auf der Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung im chinesischen Nanjing zu sehen, im Jahr davor auf der Retrospektive von Taring Padi in Yogyakarta. Man hätte sich also darüber informieren können, was 10 mal 10 Meter groß von der Documenta-Halle hängen würde. Die Anbringung der Arbeit erst im letzten Moment, sei durch Lagerschäden bedingt, die erst einmal in einer Sattlerei behoben werden mussten, hieß es weiter.

Detail aus dem Banner “People’s Justice” des Kollektivs Taring PadiFoto: dpa/Swen Pförtner

Es hat also einen Culture-clash gegeben. Die grobe, satirische Bildsprache von Taring Padi verstört, obwohl eine verzerrende Darstellung auch zum Instrumentarium eines George Grosz gehört. Dadaistische Überzeichnung ist das eine, antisemitische Diffamierung das andere und nicht zu akzeptieren.

Kollektiv als Träger künstlerischen Ausdrucks

Das 1998 aus Künstler:innen und Aktivist:innen in Yogykarta gegründete Kollektiv Taring Padi bedient allerdings eine Bildsprache, die aus einem ganz anderen kulturellen Hintergrund kommt. Wandmalerei, Tempelbilder, Plakate im öffentlichen Raum sind dort sehr viel verbreiteter, die Tafelmalerei kam erst mit der Kolonialzeit nach Indonesien.

Die politische Aufladung, die Zusammenarbeit an einem Werk sind weitere Charakteristika im Werk von Taring Padi – wie überhaupt das Kollektiv als Träger künstlerischen Ausdrucks typisch für Indonesien ist. Auch Ruangrupa, das indonesische Kuratorenteam, arbeitet im Kollektiv und propagiert gerade deshalb diese Arbeitsform auf seiner Documenta.

Das Kollektiv bot den Schutz der Anonymität in der sogenannten Reformarsi-Zeit nach dem Rücktritt des damaligen Diktators Suharto 1998 und dem Ende des drei Jahrzehnte währenden „New Order“-Regimes. Für die Künstler bedeutete dies noch nicht die Freiheit, viele von ihnen riskierten immer noch Gefängnisstrafen, äußerten sie sich kritisch.

“Mossad”-Figuren: ein weiteres Detail aus dem Kunstwerk “People’s Justice”Foto: AFP/Uwe Zucchi

Anders als in den Ländern des Globalen Nordens ist es für sie ohnehin gängige Praxis, auf der Straße und mit den Menschen zu arbeiten. Das Engagement für die gemeinsame Sache, die Aufklärung steht im Vordergrund. „Reisfangzähne“ heißt Taring Padi übersetzt, als Symbolfigur wurde die Reisbäuer:in gewählt.

Spuren der indonesischen Diktatur

„Die Banner-Installation People’s Justice (2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt“, schreibt das Kollektiv nun zur Erklärung seiner Arbeit auf der Documenta-Website.

„Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, zum Beispiel für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren.“

Lahme Entschuldigung

Die antisemitischen Stereotypen auf dem Banner erklärt dieses Statement nicht. Die „Details“ seien in Kassel anders verstanden worden „als ihr ursprünglicher Zweck“, heißt es zur Begründung für den Ärger. Obwohl Taring Padi die Verhältnisse in ihrem Land anprangern, teilen sie offenbar die politische Linie ihrer Regierung, die Israel als Staat nicht anerkennt.

Ihre Entschuldigung für die „in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen“ klingt lahm: Das Werk selbst wird von dem Kollektiv nicht hinterfragt, auch nicht die „Details“.

[Lesen Sie auch: Der Skandal von Kassel: Öffentlich geförderten Antisemitismus darf es in Deutschland nicht geben (T+)]

Das verhängte Bild werde nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment, heißt es weiter in der Erklärung von Taring Padi. „Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun zum Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann.“ Das klingt vermessen angesichts der Klarheit, was in Deutschland als Karikatur erlaubt ist und was als antisemitisch gilt. Darüber lässt sich nicht diskutieren.

Schon zur Eröffnung der “documenta fifteen” demonstrierten Menschen in Kassel gegen AntisemitismusFoto: Imago/Hartenfelser

Noch am Montagabend wurde das Banner „People’s Justice“ mit schwarzen Stoffbahnen verhüllt. Durch den aufragenden Mittelteil wirkte die Installation jedoch plötzlich wie ein verhängtes Altarbild zur Fastenzeit, eine ebenfalls verstörende Assoziation.

Kulturstaatsminister Claudia Roth forderte deshalb den Abbau des Werks – eine richtige Reaktion. Ein dunkel verhängtes, monumentales Bild am zentralen Ort der Documenta würde die Weltausstellung der Kunst nur noch mehr belasten. Sie würde ihre restlichen 96 Tage Trauer tragen.

Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle hat entsprechend den Rückbau der Installation angeordnet, noch am gleichen Tag. Für die Documenta ist es ein Desaster. Nur drei Tage stand dann das Werk, die Leerstelle bleibt und wird nachwirken. „Ergänzend holen wir weitere externe Expertise ein“, kündigte Documenta-Generaldirektorin Schormann noch an. Zu spät.