Du hast keine Chance, also nutze sie
Darko ist einer, der mit beiden Händen nach dem Leben greift. 22 Jahre alt, zupackend, jungenhaft. So hell vor Wut und Liebe entflammt wie blind vor Tränen, wenn das Unglück zuschlägt. So einen unwiderstehlichen Helden hat der Regisseur Piotr J. Lewandowski schon mal gezeichnet. In dem mutigen Vater-Sohn-Drama „Jonathan“, das 2016 im Panorama der Berlinale uraufgeführt wurde.
Darin spielt Jannis Niewöhner die Titelrolle des hingebungsvoll liebenden und pflegenden Sohns eines todkranken Bauern, der sich erst auf dem Sterbebett outet, als ihn die Körperkräfte verlassen. Begehren und Siechtum als tiefster, zärtlichster Ausdruck menschlicher Existenz.
Lebensfunken zwischen Menschen
Dieselbe Intimität, Fürsorge, Humanität. Derselbe unmittelbare Lebensfunken zwischen Menschen, den die Kamera in Nahaufnahmen und Körperdetails einfängt, zeigt der in Warschau geborene Regisseur jetzt auch in „König der Raben“.
Der charismatische, gut gebaute Newcomer Malik Blumenthal gleicht in der Rolle Darkos einem energetischen Fixstern, um den sich instinktiv die Schwächeren scharen. „Du könntest längst woanders sein, aber Du nimmst uns mit, weil Du Darko bist“, sagt sein nicht gerade zum philosophieren neigender Kumpel Yanoosh (Karim Günes).
So anständig wie Darko, der Held ohne Heldenallüren, ist die Welt jedoch nicht.
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Die schneeweißen Tauben, die Darko züchtet, sind – gleich in der Eingangssequenz in Slowmotion zum Symbol eines besseren Lebens stilisiert – das einzig Heilige in seinem Leben. „König der Raben“ macht die sichtbar, die mit Bedacht unsichtbar sind: illegale Migranten aus Mazedonien.
Was Darko und seine Mutter Schlimmes erlebt haben, bleibt Andeutung in dem ungestümen Melodram, das mehr Wert auf die sinnliche Bildsprache voller unschuldiger und schuldhafter Berührungen, als auf eine in allen Details auserzählte Geschichte legt.
Die Schrottimmobilie, in der Darko mit seiner psychisch kranken Mutter lebt, gleich einem finsteren Verlies. Kameramann Jan Prahl scheint mit seiner Vorliebe für Dämmerung und Dunkelheit das Schattenleben der Illegalen zu spiegeln. Außerdem dient es der Neigung des Regisseurs, die Realität ins Traumhafte auszudehnen.
Wenn Darko, Yanoosh und Manolo (Mert Dincer) ölverschmiert und lärmend auf dem Schrottplatz Autoteile zum Verhökern ausbauen, sehen sie wie eine krächzende Rabenbande aus. Du hast keine Chance, also nutze sie.
[In den Berliner Kinos: Tilsiter Lichtspiele und bware!Ladenkino]
Darko, die Freunde, der gewalttätige Pate, der Darko und seine Tauben für die Hochzeit seiner Tochter bucht und ihn als Mieter schikaniert: Unter den Männerbeziehungen schwelt etwas mackerhaft Explosives, das die Mazedonier, die Eltern und Höhergestellten ehrfürchtig Handküsse entbieten, von zu Hause mitbringen.
Harte und zarte Aura
Ralph Herforths macht aus dem Patriarchen mit tiefergelegter Reibeisenstimme bei der betont pittoresk-folkloristisch inszenierten Balkan-Hochzeit aber eher eine Karikatur. Zufallsbekanntschaft Alina (Antje Traue), die den Nichtschwimmer Darko nach einer Strafaktion des Paten vorm Ertrinken rettet, fasziniert seine harte und zarte Aura.
Die Amour fou zwischen der Künstlerin und dem Überlebenskünstler bringt eine zerstörerische Unwucht in Darkos Clique. Der suggestive Soundtrack von Lenny Mockridge paart das Gefühl steter Gefährdung mit der Sehnsucht nach Liebe und einem besseren Leben. Ja, es folgt ein Unglück auf’s nächste in „König der Raben“. Friedfertige Tauben sind Opfer in einer Aasfresserwelt. Doch was ist das Wissen um den Schmerz schon gegen das Glück, in jeder Sekunde das pralle Leben zu spüren.